
Apsara Grannies – und was wir von ihnen lernen können
Vor kurzem war ich auf einer Bildungsreise in Kambodscha. Unser Weg führte uns unter anderem ins Nationalmuseum in Phnom Penh. Dort fanden wir eine kleine, aber feine Kunstausstellung “Apsara Grannies„, die von Oktober bis November 2025 stattfand. Die Ausstellung verband Kunst mit Aktivismus: Alle Einnahmen aus dem Verkauf von Prints bzw. Kunstwerken flossen zurück in das Granny-Programm des Cambodian Children´s Fund (CCF), um älteren Frauen weiterhin Unterstützung zu bieten. Aber warum schreibe ich über eine Ausstellung in Kambodscha? Was hat sie mit unserem Leben in Deutschland zu tun?
Über Würde, Alter und die Kunst, sichtbar zu bleiben
Wenn man an Kambodscha denkt, erscheinen vor dem inneren Auge vielleicht die steinernen Gesichter von Angkor Wat, die von Geschichte und Spiritualität umhüllt sind. So erging es mir zumindest. Doch mitten in Phnom Penh leuchtet etwas anderes: die Apsara Grannies – ältere Frauen, die sich in die schimmernden Kostüme der traditionellen Apsara-Tänzerinnen kleiden und vor der Kamera erblühen. Ein Projekt, das mich sehr berührt hat. Und eines, das Fragen stellt – nicht nur an die Gesellschaft in Kambodscha, sondern auch an uns.
Schönheit, neu definiert
In der Khmer-Kultur sind die Apsara-Tänzerinnen Symbol für Jugend, Eleganz und göttliche Anmut. Wenn nun Frauen mit grauem Haar und von Falten gezeichneten Gesichtern in diese Rolle schlüpfen, geschieht etwas Magisches: Sie verkörpern dieselbe Würde, dieselbe Leichtigkeit – aber mit der Tiefe ihres gelebten Lebens. Die Fotografien zeigen nicht nur Körper, sie zeigen Geschichten. Geschichten vom Überleben, Verlust und Wiederaufbau, von Gemeinschaft und Stolz. Aber viel wichtiger: sie vermitteln uns, dass Schönheit kein Privileg der Jugend ist. Sie wächst mit den Jahren, wenn man sie lässt.
Wenn Erfahrung zur Ressource wird
Viele dieser Frauen sind Teil des Granny-Programms der Cambodian Children’s Fund, einer Organisation, die sich um benachteiligte Familien kümmert. Die „Grannies“ helfen, kochen, erzählen Geschichten – sie sind eine gelebte Verbindung zwischen Vergangenheit und Zukunft. Im (Kunst-) Projekt „Apsara Granny“ werden sie porträtiert – nicht als Bedürftige, sondern als Hüterinnen kultureller Stärke. Das ist für mich eine starke Metapher: Wie oft sehen wir unsere eigenen Älteren – oder uns selbst – eher im Licht des Mangels als der Ressource? Einzelne Geschichten der Frauen, von denen die älteste 105 Jahre alt ist, kannst du hier oder hier nachlesen
In Coachings erlebe ich oft, dass Menschen (und besonders Frauen) ihre Erfahrung kleinreden:
„Ich bin zu alt für Neues.“
„Andere können das besser.“
„Das braucht doch keiner mehr von mir.“
Doch genau hier liegt die Kraft und Botschaft der Apsara Grannies: Sie zeigen, dass gelebtes Leben nicht abnimmt, sondern strahlt, wenn man es würdigt.
Würde ist Haltung, nicht Alter
Was mich an diesen Bildern am meisten fesselt, ist die Haltung dieser Frauen. Kein Lächeln, das gefallen will. Keine Pose, die kaschiert. Nur Präsenz, Wahrheit, und vor allem Würde. Nicht die, die man sich erarbeiten muss, sondern die, die man still trägt – in der Art, wie man steht, wie man schaut, wie man sich selbst Raum gibt. Diese Haltung ist es, die ich auch in Coachings fördern möchte:
- den Mut, sich zu zeigen – so, wie man ist
- die Gelassenheit, nicht ständig leisten zu müssen
- das Vertrauen, dass man genug ist.
Vielleicht ist das das eigentliche Geheimnis der Apsara Grannies: Sie machen nichts, um schön zu wirken – sie sind es einfach. Vielleicht ist das der Kern: Würde entsteht nicht durch Perfektion, sondern durch Authentizität.
Vom Funktionieren zur Verbundenheit
In Kambodscha ist das Projekt mehr als Kunst. Es ist soziale Arbeit, Kulturpflege und Gemeinschaftsaufbau zugleich. Die Einnahmen aus der Ausstellung fließen in Programme, die den Frauen medizinische Versorgung, Essen und soziale Sicherheit bieten. Aber jenseits der Zahlen passiert noch etwas anderes: Die Grannies werden gesehen.
Vielleicht ist das die tiefste Botschaft des Projektes – sichtbar sein, ohne leisten zu müssen. In unserer Leistungsgesellschaft – ob im Bildungsbereich, im Coaching oder im Alltag – ist das ein seltenes Geschenk. Vielleicht sollten wir uns öfter fragen: Wie oft erlaube ich mir, einfach da zu sein – ohne Beweis, ohne Ziel, ohne Plan?
Zwischen Apsara und Deutschland: Was passiert, wenn wir Schönheit neu denken?
Wenn ich diese kraftvollen Bilder betrachte, prallen zwei Welten aufeinander – die kambodschanische Würdigung des Alters und unser westlicher Schönheitswahn, der kaum Raum für Falten, Gewichtsschwankungen oder sichtbares Leben lässt. In Deutschland gleicht der Körper oft einem Optimierungsprojekt: glatter, straffer, jünger, bitte möglichst „unkompliziert“. Falten sollen weg, graues Haar soll gefärbt werden (habe ich selbst jahrelang gemacht), die Haut soll makellos sein – egal wie viel Filter, Photoshop, Geld oder OP´s es kostet. Und mitten in diesen Druck hinein stellen sich die Apsara Grannies – mit ihren Linien, Narben, Lachfalten und Geschichten – wie ein stiller Gegenentwurf. „I feel beautiful. Nothing compares to this feeling.“ sagt Apsara Granny Chheang Yoeurn, 69 Jahre alt. Die Grannies verstecken nichts, sie entschuldigen nichts. Vielmehr verkörpern sie Schönheit, weil sie ganz bei sich sind.
Sichtbarkeit statt Scham
Und doch gibt es auch in Deutschland Gegenbewegungen, mal leiser, mal laut. Mit fällt da eine ganz besonders ein: Louisa Dellert, die das Format #Unshame ins Leben gerufen. Sie will damit unter anderem folgendes verdeutlichen:
- den eigenen Körper nicht länger als Problem zu betrachten
- Es ist okay so wie du bist und niemand hat das zu kommentieren
- Scham nicht zu verstecken, sondern zu entwaffnen
- das Sichtbare sichtbar zu lassen
- sich selbst nicht erst zu optimieren, bevor man sich zeigt
- Schönheit ist kein fest definierter Begriff
- Hinschauen und „Entlernen“
Diess Format lädt uns ein, uns nicht mehr zu ducken, nicht mehr klein zu machen, nicht mehr zu kaschieren, was „nicht ideal“ ist. Da sein ist genug. Das ist genau das, was die Apsara Grannies uns in Kambodscha vormachen.
Was wir daraus für unseren Alltag mitnehmen können
Wenn wir diese beiden Perspektiven zusammendenken – die Würde der Apsara Grannies und die Kraft des #Unshame-Formates – kann ein neuer Blick auf uns selbst entstehen. Möglicherweise ist dieser Blick weicher, ehrlicher oder sogar freier? Schönheit entsteht, wenn wir aufhören, uns zu schämen. Wenn wir uns nicht mehr verstecken und dumme Kommentare nicht beachten bzw. beantworten müssen. Schönheit entsteht, wenn wir leben, wenn wir sichtbar werden und dadurch verletzlich und wahrhaftig.
Und du?
Vielleicht ist heute ein guter Moment, dich selbst neu zu betrachten. Deine Spuren, deine Linien, deine Geschichte. Vielleicht magst du dir sogar ein kleines Stück der Apsara-Würde schenken. Oder ein kleines Stück Unshame-Mut. Denn du bist genug. Du trägst schon alles in dir, was du brauchst. Und du bist schön – nicht trotz, sondern wegen deiner Geschichte.
Hier sind die Fotos der Apsara Grannies 2.0 (abfotografiert aus dem Ausstellungskatalog):








