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Mein Septober 2025: Zwischen Therapien und Tempeln – zwei Reisen zu mir selbst

Dieser Rückblick ist ein sehr persönlicher. Wenn ich an die letzten zwei Monate denke, fühlt es sich an, als hätte ich zwei Welten durchquert – unterschiedlicher könnten sie kaum sein.
Die eine war geprägt von Routinen, Gesprächen und Heilung. Die andere von Weite, Farben und jahrtausendealter Geschichte. Und doch hatten sie eines gemeinsam: Beide waren Reisen zu mir selbst.

September: Ankommen im Stillstand

Ich gebe zu – ich bin nicht die geduldigste, wenn es um Pausen geht. Eine Reha ist zwar kein Urlaub – wie uns ständig immer wieder gesagt wurde – aber so komplett weg vom Alltag zu sein war für mich auch eine Herausforderung. Vor allem, wenn man wie ich, gewohnt ist, alles selbst zu strukturieren, zu funktionieren, zu geben, zu planen, dann fühlt sich eine Reha, in der einem das alles aus den Händen genommen wird, anfangs wie Kontrollverlust an. So war es auch, als ich Anfang September in die Reha kam.

Zwischen Gesprächen und Getratsche

Es dauerte nicht lange, bis ich merkte, dass eine Reha nicht automatisch ein Ort der Ruhe ist. In den Gemeinschaftsräumen wurde viel geredet – über Ärzte, Mitpatient:innen, über Diagnosen und Zimmernachbar:innen. Manches war witzig, manches anstrengend, manches verletzend. Ich spürte, wie diese dauernden kleinen Spitzen, das Lästern und die negativen Gespräche auch etwas mit mir machten.
Wie sie Energie zogen, Stimmung drückten und meinen Fokus von mir selbst wegrissen.

Ich begann bewusst, mich innerlich zu distanzieren. Nicht aus Arroganz, sondern aus Selbstschutz. Ich lernte, dass Achtsamkeit nicht nur bedeutet, was ich denke, sondern auch wem ich zuhören möchte. Manchmal ist die größte Übung in Selbstfürsorge: den Raum zu verlassen, bevor man sich verliert.

Struktur heilt

Reha bedeutet viel Struktur – feste Zeiten, feste Pläne, feste Mahlzeiten. Für viele ist das Routine, für mich war es Rückkehr in etwas, das ich teilweise verloren hatte: Regelmäßigkeit, Verlässlichkeit, Pausen.
Ich merkte, wie mein Körper langsam aus dem Dauer-Alarmzustand kam. Wie Bewegung, Schlaf und regelmäßige Mahlzeiten nicht einfach „nice to have“ sind, sondern Fundament. Wie wichtig es ist, nicht immer mehr zu tun, sondern anders.

Und dann gab es auch diese stillen Momente:
ein Spaziergang im Park, ein unerwartet ehrliches Gespräch mit Mitpatientinnen, das Gefühl von Ausgepowert sein nach einem anstrengenden Rehatag. Kleine Momente, in denen ich spürte: Ich bin auf dem richtigen Weg.

Oktober: Vom Stillstand in die Weite

Kaum war ich zurück, führte mich der Oktober in eine ganz andere Welt – nach Kambodscha.
Fast zwei Wochen Bildungsreise, Begegnung, Kultur, Geschichte. Lange ersehnt, denn ich wollte schon sooo lange Angkor Wat sehen. Darüber habe ich auch hier geschrieben. Es war ein Sprung in ein Land, das mich tief beeindruckt und berührt hat.

Ein Land mit Narben – und Hoffnung

Kambodscha ist wunderschön und traurig zugleich. Kaum eine Familie ist nicht von der Zeit der Roten Khmer betroffen. Ein Besuch im berühmt berüchtigten Foltergefängnis von Pol Pot, oder bei den Landminenratten, mit Hilfe derer auch heute noch Gebiete geklärt und entmint werden müssen. Man spürt die Geschichte in den Gesichtern, in den Tempeln, in den Erzählungen. Und trotzdem – oder gerade deshalb – liegt über allem eine unglaubliche Lebenskraft. Ein stilles „Wir machen weiter“. Ein Vertrauen ins Leben, das ansteckend ist.

Ich lernte viel – über die Kraft der Gemeinschaft, über Demut, über den Wert von Frieden. Und über mich selbst: dass ich loslassen darf, ohne den Halt zu verlieren. Dass mein Blick auf das Leben sich weitet, wenn ich ihn nicht mehr festhalte.

Zwischen Steinen, Mönchen und Mystik

Wie lange hatte ich darauf gewartet, endlich Angkor Wat zu sehen – die riesige Tempelanlage. Und was für ein Glück, dass zu dieser Jahreszeit noch nicht so viele Tourist:innen anwesend waren wie wahrscheinlich in zwei Wochen. Die alten Tempel von Angkor Wat waren für mich ein Ort, an dem Zeit und Bedeutung verschmelzen. Dennoch waren es andere Tempelanlagen, die mich tief berührten: mitten im Dschungel, verschlungen mit der Natur, die sich einiges zurückerobert hatte, und doch voller Leben.
Die Natur holt sich zurück, was der Mensch gebaut hat – nicht zerstörerisch, sondern geduldig, kraftvoll, selbstverständlich.

Ich stand dort auf uralten Steinen, sah das Spiel der Sonne auf den grünen Blättern, und dachte: „So fühlt sich Heilung an. Sie braucht Zeit. Sie wächst leise.“ Und während du glaubst, du stehst still, wurzelt etwas Neues.

Mahnmal gegen das Vergessen

Der Besuch im Genozidmuseum Tuol Sleng in Phnom Penh, auch S-21 genannt, verschaffte mir Bilder und Emotionen, die ich nicht in Worte fassen kann. Es war DAS Foltergefängnis der Roten Khmer. Ca. 2 Millionen Menschen starben während der Schreckensherrschaft von Pol Pot und seiner roten Khmer, unter 10 (!!) überlebten dieses Gefängnis. Die Geschichte ist für mich nur schwer zu ertragen, gehört aber zum Land und hat mich tief bewegt. Keine Familie in Kambodscha, die nicht mindestens ein Familienmitglied verloren hat. Wir waren im Anschluss zwar nicht bei den Killing Fields, sondern besuchten die Killing Caves, in die die „Verurteilten“ einfach geschmissen wurden, um dort zu sterben. Eine grausame Geschichte. Beides sind Mahnmale gegen Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, fördert gleichzeitig die Auseinandersetzung und die Gedanken über Frieden und Toleranz. Schwer, danach wieder in den Alltag zurückzukehren. Der Besuch der Herorats in Siem Reap war da nur logisch. Immer noch liegen Landminen, die die Kindersoldaten von Pol Pot verteilt hatten, verstreut, vor allem in den Grenzregionen, und kosten heute noch Menschenleben oder die Gesundheit.

Schul- und Zirkusprojekt „Phare“ in Battambang

Ich habe mich sehr gefreut, ein ganz spezielles Schulprojekt in Battambang zu besuchen: Phare Ponleu Selpak. Seit 1994 existiert diese Schule, die Kindern eine Zukunft ermöglichen will, in dem sie den Schulbesuch für Kinder und Jugendliche mit sozialen Herausforderungen fördert (es gibt in Kambodscha keine Schulpflicht). Dafür verfolgt sie einen ganzheitlichen Ansatz, indem sie Perspektiven aus einer Mischung von Bildung, Kunst (Zirkus, Malerei, Musik, Tanz etc.) und Sozialarbeit anbietet. Über 1000 Kinder und Jugendliche durchlaufen die Schule jährlich. Kinderschutz wird dabei sehr groß geschrieben. Mich hat das Projekt sehr beeindruckt, kenne ich doch aus meiner Arbeit den Zugang zu Kindern über Zirkusprojekte. Mehr zu diesem Projekt findest du auf deren Webseite.

Was beide Reisen gemeinsam hatten

Wenn ich jetzt, Wochen später, beide Erfahrungen nebeneinanderlege – Reha und Kambodscha –
erkenne ich ein gemeinsames Muster: Beides waren Reisen zu mir selbst, nur auf sehr unterschiedliche Weise.

  • In der Reha lernte ich, still zu werden. Mich zu spüren, Grenzen zu setzen und gesund zu werden.
  • In Kambodscha lernte ich, loszulassen, zu staunen, dankbar zu sein und zu mir zurückzukehren.

Beides brauchte Mut. Mut, mich auf Neues einzulassen – und auf mich selbst. Mut, Kontrolle loszulassen.
Mut, mich zu zeigen, auch verletzlich, suchend, neugierig.

Wenn Heilung und Lernen Hand in Hand gehen

Ich habe in diesen Wochen auch verstanden, dass Heilung nicht immer Rückzug bedeutet. Und Lernen nicht immer Wissen. Manchmal ist beides dasselbe. Ein stiller Prozess, der erst in der Rückschau sichtbar wird. Ich kam mit neuen bzw. wieder gewonnenen Erkenntnissen zurück:

  • Dass Menschen sich verändern dürfen – auch, wenn andere damit hadern.
  • Dass es okay ist, „nein“ zu sagen, auch in Reha-Kaffeerunden.
  • Dass Achtsamkeit keine Methode ist, sondern eine Haltung.
  • Dass Frieden beginnt, wenn man aufhört, gegen das zu kämpfen, was ist.
  • Und dass Reisen – ob in die Ferne oder nach innen – immer ein Risiko birgt: nämlich, verändert zurückzukehren.

Ein neuer Blick auf mich

Wenn ich zurückblicke, dann sehe ich zwei Monate, die mich geschüttelt, geweitet und sortiert haben. Ich habe Altes losgelassen und Neues aufgenommen. Ich habe Menschen kennengelernt, die mir gezeigt haben, was Hoffnung heißt. Und ich habe gespürt, wie viel in mir noch möglich ist, wenn ich den Raum dafür lasse.

Vielleicht war diese Zeit mein persönliches „Reset“. Ein bewusstes Innehalten, bevor es weitergeht. Ein stilles „Danke“ an meinen Körper, dass er mich trägt und heilen kann. Ein „Ja“ zu dem, was kommt.

Und jetzt?

Jetzt, wo die Tage kürzer werden und der Nebel morgens wieder über den Wiesen hängt,
fühlt sich vieles klarer an. Nicht, weil ich alles verstanden hätte – sondern weil ich wieder mehr spüre. Weil ich weiß, dass ich nicht ständig auf der Überholspur leben muss, um anzukommen. Aber vielleicht kennst du das auch:
Zeiten, in denen du meinst, nichts gehe voran – und am Ende stellst du fest, dass du gewachsen bist. Nicht nach außen, sondern nach innen. Diese beiden Monate waren genau das für mich.

Und wer weiß – vielleicht ist das die tiefste Form des Reisens: nicht von Ort zu Ort, sondern von Ich zu Ich.

Was gab es noch?

Neben den zwei herausragenden Ereignissen gab es auch noch ein wenig „anderes“:

  • In meinem Sommerurlaub hat ja mein Laptop den Geist aufgegeben. Es war nichts mehr zu reparieren. Meine Festplatte konnte jedoch gerettet werden. Gleichzeitig gab es im September dann einen neuen, deutlich leichteren Laptop. Endlich!!
  • Beim Rückflug aus Kambodscha hat mich ein hammerfester Infekt erwischt. Seitdem bin ich krank und kann kaum sprechen. Ich schätze, das kalte Flugzeug auf dem Rückweg war der Auslöser (und eine kranke Mitreisende). Ich freue mich darauf, den Tag ohne Husten und mit Stimme wieder gestalten zu können!
  • Letzteres hat mich zum Innehalten und Nichtstun verdammt. Auch wenn es nach den beiden Monaten nichts Neues mehr sein sollte, fällt es mir nicht so leicht. Die Erschöpfung fordert derzeit ihren Tribut.

Natürlich bekommst du abschließend noch einen Einblick in die kambodschanische Welt, wie ich sie erlebt habe, mit all den Formen, Farben, Gerüchen, Geschmack und Geräuschen (wobei du ja nicht alles so erfahren kannst, wie ich das habe):

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