Brauchen wir einen Weltfrauentag?
Heute ist der 8. März – Weltfrauentag. Gab es den eigentlich schon immer? Ich, Jahrgang 1966 und im westlichen Teil Deutschlands aufgewachsen, kann mich nicht erinnern, dass der in meiner Kindheit gefeiert wurde. Erinnern kann ich mich jedoch an die Frauenbewegung , an die Demonstrationen zur Abschaffung des §218, an Alice Schwarzer und Männer, die sich über ihre Ansichten lustig machten, an Demos für mehr Frauenrechte, Gleichberechtigung in allen Lebensbereichen von Frauen, an Parteien, die sich die Forderungen der Frauen auf ihre Fahne schrieben, aber nur wenig davon umsetzten. Aber auch an die Frauen in meiner Familie, die immer schwer und hart arbeiteten (wie die Männer im übrigen auch). Meine Oma z.B. hatte als “Trümmerfrau” und “Vertriebene” (huh, was für Zuschreibungen!) immer zu kämpfen, Kinder fast komplett alleine großgezogen, war immer für einen da und konnte von ihrer Rente, die ich gar nicht als solche bezeichnen mag, nicht leben. Ich empfand das als Kind schon als große Ungerechtigkeit.
Für mich war es immer selbstverständlich, unter anderem für Frauenrechte einzustehen und den mir anvertrauten Klient*innen das vorzuleben. Es war mir tatsächlich nicht bewusst, dass es einen solchen Tag gibt. Bis ich irgendwann eine Kollegin bekam, die den 8. März immer mit Glückwünschen an alle anfing. Da rückte dieser Tag in meine Gehirnwindungen nach vorne und ich fragte mich damals, wie auch heute noch, ob wir Frauen diesen Tag wirklich brauchen. Reiht sich ein solcher Tag nicht nur in die ganzen anderen “Tage der / des…” ein oder hat er tatsächlich Bedeutung für uns Frauen?
Ursprung
Woher kommt der Weltfrauentag eigentlich? Ich will da jetzt nicht in die allertiefsten Tiefen der Geschichte eintauchen. Nur soviel:
Bereits 1910 schlug die deutsche Sozialistin Clara Zetkin (eine Wegbegleiterin von Rosa Luxemburg) auf der Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz die Einführung eines solchen Tages vor. Sie griff damit eine erste Idee aus den USA auf. 1911 wurde dann auch der erste internationale Frauentag veranstaltet. Das immer wiederkehrende Datum des 8. März wurde erst später (1926) festgelegt.
Der eigentliche Gedanke des Frauentages
Der Weltfrauentag und sein Schwerpunkt war natürlich dem Wandel der Zeit unterworfen: wurde zu Beginn das freie, geheime und gleiche Frauenwahlrecht thematisiert (welches 1918 verkündet wurde), so gab es zwischen den beiden Weltkriegen unter anderem die Forderungen nach Arbeitszeitverkürzungen ohne Lohnabschlag, Senkung der Lebensmittelpreise, Schulspeisung und legaler Schwangerschaftsabbruch. Während der nationalsozialistischen Zeit in Deutschland wurde der Frauentag verboten (war ja kommunistisch). Trotzdem wurde der Frauentag als Zeichen des Widerstandes gefeiert, indem man “Auslüftete“, also rote Gegenstände an eine Wäscheleine hing oder illegale Flugblätter verteilte. Der Muttertag dagegen wurde in den Rang eines Feiertages gehoben. Das entsprach ja voll und ganz der damaligen Ideologie!
Frauentag nach dem Krieg
Nach dem Krieg mit der Teilung Deutschlands wurde der Frauentag – geprägt durch seine Geschichte – in der DDR zu einer sozialistischen Veranstaltung, einer Art “sozialistischer Muttertag“. Im Westen hingegen gab es ab 1948 wieder Frauentage, allerdings wurde die ursprüngliche Bedeutung zunehmend vernachlässigt zu Gunsten von Themen wie Frieden oder Kampf gegen die Wiederbewaffnung. Erst mit Beginn der Frauenbewegung in den 60ern rückte der 8. März wieder etwas mehr ins Bewusstsein, die Umsetzung und Mobilisierung dagegen war eher zäh. Erst Mitte der 90er verhalfen die Frauenstreiktage dem Internationalen Frauentag wieder zu mehr Bedeutung. Seitdem gibt es in Deutschland zum 8. März verschiedenste Veranstaltungen: seien es Demonstrationen, Feiern, Vorträge zum Thema Frauenrechte durch Gewerkschaften, Frauengruppen (und damit meine ich die autonomen Frauengruppen), ja sogar durch die Gleichstellungsbeauftragten.
Übrigens, wusstest Du, dass es der Weltfrauentag in Berlin (und nur dort) seit 2019 zum Feiertag geschafft hat?
Ein Tag wie jeder andere?
Mit dem Weltfrauentag ist es offensichtlich wie mit dem Muttertag, oder dem Valentinstag: Einmal im Jahr erinnert sich jedermann und jedefrau daran, eine Mutter zu haben und greift zumindest zum Telefonhörer, wenn nicht sogar ins Portemonnaie, um mal einen ordentlichen Blumenstrauß, Luxuspralinen oder -kosmetik für Mama zu kaufen. Ich verzichte bewusst auf so einen Tag, denn Mutter bin ich nicht nur an diesem einen Datum, sondern auch an all den anderen 364 Tagen im Jahr. Wenn das meine Familie nicht merkt, dann brauche ich auch keine Geschenke oder Lippenbekenntnisse zum Muttertag. Und so brauche ich keinen Frauentag, wenn sich die Themen nur auf diesen einen Tag beschränken. Oder doch?
Um was geht es also?
Es geht darum, verschiedene Fakten, Verhältnisse und Missstände ins Bewusstsein der Gesellschaften zu heben und etwas zu verändern. Wir sind noch lange nicht am Ziel, auch wenn sich bereits vieles getan hat. Gerade jetzt in der Coronakrise zeigt sich erneut deutlich, wer die Hauptlast in der Familie trägt, wer den Spagat zwischen Homeoffice (oder Arbeiten gehen) , Haushalt, Homeschooling, plötzliche Quarantänen und Einsatz der Krankheitstage für Kinder stemmen muss. In der Mehrheit sind es die Frauen. Und die Diskussionen um gleiche Bezahlung, Karriere und Kind etc. sind in den westlichen Ländern noch lange nicht zu Ende.
Was ist aber global gesehen?
Immerhin ist es ja ein WELTfrauentag. Was ist mit den Millionen Frauen, die keine Selbstbestimmung ausleben können, die unter Gewalt leben müssen und von einem Leben in Gewaltfreiheit träumen? Die keine oder nur unzureichende Teilhabe an demokratischen Prozessen, beruflichem Vorankommen und dergleichen mehr haben? Die unter Diskriminierungen leiden, einfach nur, weil sie eine Frau sind? Wer gibt ihnen eine Stimme?
Die UN versucht das zum Beispiel und stellt, ich glaube seit 1996, den internationalen Frauentag unter bestimmte wechselnde Themen, wie z.B. Frauen und Menschenrechte, Gleichberechtigung, Frauen und HIV, weltweit gegen Gewalt gegen Frauen, Frauen in Entscheidungspositionen, und 2021: “Women in leadership: Achieving an equal future in a COVID-19 world“
Dafür finde ich es wichtig einen internationalen Frauentag zu haben, auf Missstände hinweisen, den Finger quasi in die Wunde legen, um Bewegungen anzustoßen, die Veränderungen bringen. Siehe dazu auch ein Video der UN zum letzten internationalen Frauentag.
Emma Watson hat dazu 2014 in ihrer Rede vor der UN eine sehr prägnante Aussage gemacht:
Ich komme aus Großbritannien und ich finde es richtig, dass ich als Frau genauso bezahlt werde wie meine männlichen Kollegen. Ich denke, es ist richtig, dass ich Entscheidungen über meinen eigenen Körper treffen kann. Ich denke, es ist richtig, dass Frauen meinetwegen in die Politik und die Entscheidungsfindung meines Landes einbezogen werden. Ich denke, es ist richtig, dass ich von der Gesellschaft denselben Respekt wie ein Mann bekomme. Aber leider muss ich sagen, dass es auf der Welt kein Land gibt, in dem Frauen all diese Rechte haben. Kein Land der Welt kann behaupten, dass es die Gleichberechtigung der Geschlechter erreicht hat.
(siehe auch hier)
Fazit
Wenn es darum geht, an einem Tag im Jahr darauf aufmerksam zu machen, dass es uns Frauen gibt, wir Rechte haben und dafür kämpfen und im Rest des Jahres nichts passiert, dann brauche ich diesen Tag nicht. Oder wie Alice Schwarzer am 8. März 2010 f in einem übrigens lesenswerten Artikel mit pro und contra in der Frankfurter Rundschau forderte:
„Schaffen wir ihn […] endlich ab, diesen gönnerhaften 8. März! Und machen wir aus dem einen Frauentag im Jahr 365 Tage für Menschen, Frauen wie Männer.“
Nicht zuletzt sollten wir Frauen uns gegenseitig unterstützen, protegieren, uns gemeinsam einsetzen für unsere Werte und Rechte, uns solidarisieren, uns gegenseitig unterstützen fernab von Eifersüchteleien, Neid und dergleichen mehr.
Lasst uns unsere Anliegen noch stärker ins Bewusstsein der Gesellschaft bringen. Und das an 365 Tagen im Jahr und nicht nur an einem.