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“Du spielst ja nur!” – Ein Plädoyer für das Spielen.

Ilka Kind hat mit ihrer Blogparade ein Thema angeschnitten, das mir sehr wichtig ist und das in den meisten Fällen nicht richtig beleuchtet wird: Spielen. Hier nun also mein Beitrag zu ihrer Blogparade: “Mehr als ein Zeitvertreib?!-Was spielst du und warum?”

Meine Spielebiografie

Wer mich kennt, weiß, Spielen steht bei mir hoch im Kurs – neben Lesen. Sowohl beruflich als auch privat.

Bild: Hai Nguyen Tien auf Pixabay

Schon als Kind habe ich mit meinem nur ein Jahr älteren Bruder und unseren Freund:innen alles Mögliche gespielt. Ich bin eine Generation, die als Kind und später als Jugendliche noch viel draußen war. Also experimentierten wir vorrangig in der Natur: wir schufen uns eine Art Rückzugsplatz, sammelten Frösche, untersuchten den pH-Gehalt unseres Dorfweihers, überprüften, ob sich der Lehm im Boden genauso verarbeiten ließ wie Ton, stromerten auf Spielplätzen mit Sandkästen herum, fanden heraus, wie man am besten eine riesige Burg mit unterirdischem Gewölbe bauen konnte und freuten uns jedes Mal, wenn wir unseren eigenen persönlichen Rekord übertrafen. Aber auch Kästchen hüpfen. Rollschuhe fahren, Gummitwist (nur mit den Mädels), um nur ein paar Spiele draußen zu nennen, fand ich toll. Für innen hatten wir unter anderem Legos. Wenn man uns glücklich machen wollten, dann durch ein paar neue Legosteine, durch die wir unsere Legowelt erweitern konnten. Wir bauten eine Art “Sofortbildkamera”, mit denen wir jeden und alles fotografierten, um dann ein selbstgemaltes Bild als Foto zu überreichen. Aber auch einfach nur Gegenstände wie eine Burg, oder was uns gerade einfiel, standen hoch im Kurs. Egal ob mit oder ohne Anleitung.

Brettspiele hingegen hatten wir nicht sooo viele. Sie waren zur damaligen Zeit teuer, daher mussten wir uns auf einige wenige beschränken. Aber die Nachbarskinder hatten ja auch welche . Wir trafen uns regelmäßig und tauschten aus bzw. spielten miteinander. So verbrachten wir ganze Wochenenden an einem Monopolyspiel, veränderten Regeln, so dass wir noch länger spielen konnten und hatten einfach viel Spaß dabei. By the way: Ich habe so oft Monopoly gespielt, dass ich es heute nur noch unter Zwang spiele.

In der Schule hatten wir immer Stifte und ein Blatt Papier, mit dem wir die Pausen unter anderem mit “Schiffe versenken”, “Stadt, Land, Fluss”, “Galgenmännchen” etc. verbrachten.

Mit meinen Freundinnen spielten ich natürlich auch Barbies. Ich weiß noch, wie stolz ich war, als ich eine Originalbarbie zu Weihnachten bekam, nicht nur den “Petra”-Verschnitt. Damit waren Rollenspiele vorprogrammiert.

Bild: Hans auf Pixabay

In meiner Familie gab es die damals üblichen Brett- und Kartenspiele wie “Canasta”, “Rommy”, “Mensch ärgere dich nicht”, “Malefiz” etc. Mein Vater mochte Spiele nicht so gerne. So war es immer schön. wenn er dazu kam, eine Runde mit uns spielte und dann wieder seinen Dingen nachging.

Als ich den Göttergatten kennenlernte, fand ich es furchtbar, dass er so fast gar nichts gerne spielte. In seiner Familie wurde vorrangig von den männlichen Familienmitgliedern Schach gespielt oder, wenn Zeit dafür war, Halma oder mal Mühle. In seiner Clique traf man sich eher zum Billard, Kicker, etc, aber nicht für Brettspiele. Halt, nein, Risiko spielte er noch. Das ist allerdings für mich wie Monopoly: ein Spiel, das ich nicht gerne und nur unter Zwang spiele. Gottseidank hatte ich eine Freundin, deren Partner ebenso gerne spielte wie sie. So trafen wir uns regelmäßig zu Spieleabende und probierten immer wieder neue Brettspiele aus.

Im Laufe der Zeit erweiterte ich unsere Spiele. Mittlerweile kommen wir auf eine beträchtliche Anzahl. Anfangs suchte ich vorrangig solche, die wir zum einen mit in den Urlaub nehmen konnten und die gut zu zweit funktionierten. Leider gab es zur damaligen Zeit nicht allzu viel, aber das gute alte “Schiffe versenken” ging auch auf unseren Rucksackreisen.

Als schließlich das Tochterkind unsere Welt bereicherte, war mir von vorneherein wichtig, dass sie spielerisch lernen konnte, egal was. Wir infizierten sie mit unserem Spielevirus. Auch heute noch treffen wir uns gemeinsam mit einer befreundeten Familie relativ regelmäßig, einfach nur zum Spielen.

Spielen im Beruf

Ich bin Sozialpädagogin / Sozialarbeiterin von Beruf, und das mit viel Leidenschaft. Seit nunmehr fast 30 Jahren arbeite ich an Schule, und zwar überwiegend an weiterführenden Schulen.

Bereits während meines Studiums habe ich ein Praktikum in einer JVA für Jugendliche gemeinsam mit einer Kollegin absolviert. Über Spiele – und letztendlich mit der Herstellung eines von den Jugendlichen selbst konzipierten “Knastspieles” – haben wir relativ schnell Zugang zu ihnen bekommen und herausgefunden, was sie beschäftigte, wie ihr Alltag war und was sie sich wünschten.

Auch in meiner Arbeit an der Schule waren und sind Spiele immer ein Zugangsweg zu Kindern und Jugendliche. Meist wird das von den Erwachsenen belächelt und mit den Worten abgetan: “Sie spielen ja nur mit den Kindern”. Den Mehrwert, der dahinter steckt, sehen sie häufig nicht. Dafür bedarf es eines größeren Erklärungsbedarfes und selbst danach werde ich argwöhnisch beäugt, ob ich tatsächlich “nur” spiele, oder ob die Kinder auch etwas dabei lernen. Ich wurde auch schon gefragt, ob ich das mache, weil ich selber gerne spiele und meine Zeit damit verbringe. “Ja und Ja“, war meine kurze Antwort. Ich frage mich, ob diese Erwachsenen vergessen haben, dass sie selbst Kinder waren und wie sie am besten gelernt haben.

Welche Spiele sind für mich beruflich wichtig?

Eines muss ich voraus schicken: Im beruflichen Kontext spreche ich teilweise von Übungen, z.B. im sozialen Lernen oder Teambuilding. Das hat den Grund, dass es ernster genommen wird und nicht gleich als “Kinderkram” abgetan wird. Was biete ich nun an?

  • Offene Spielangebote, in denen die Kinder und Jugendliche bestimmen, was sie spielen wollen. Ich stelle Spiele und Material zur Verfügung, die Teilnehmenden entscheiden, was sie gemeinsam machen wollen. Ziele: Partizipation, demokratische Bildung, Regeln bestimmen und einhalten, Erlebnis von Gemeinschaft, Kreativität fördern, Erholung und Freude, Frustrationstoleranz einüben, selbstwirksames Handeln, einfach nur spielen
  • Schatzsuchen: Ist für mich eine Sonderform des Teambuildings, sowohl analog (eher bei Kindern) und digital, auch als Geocaching, einsetzbar. Hier steht für mich der Hauptaugenmerk auf Zusammenarbeit, Integration von schwächeren Gruppenmitgliedern, gemeinsam etwas bewältigen und erreichen können, einen Schatz im weitestem Sinne finden, und natürlich gehören die bereits oben genannten Punkte ebenfalls dazu.
  • Soziales Lernen / Teambuilding: Die Klasse soll als Gemeinschaft stärker zusammenwachsen. Sie sollen selbst erkennen, woran sie noch arbeiten sollten und was sie bereits können. Fehler machen und kleinere Auseinandersetzungen der Teilnehmenden z.B. über weiteres Vorgehen sind wichtig, da anhand dessen ein Austausch möglich ist. Die eingesetzten Übungen treten damit eher in den Hintergrund, die Besprechungen (Vorher und hinterher) haben deutlich mehr Gewicht . Auch hier sind Partizipation, demokratische Bildung, etc. (s.o,) Ziele.
  • Rollenspiele: Hier können in größeren und kleineren Gruppen vorgegebene Aufgaben diskutiert und bewältigt werden. Dazu zählen für mich vor allem Planspiele. Ziele: in erster Linie demokratische Bildung, ansonsten wie oben beschrieben.
  • Alte Spiele: Da unsere Kinderwelt mittlerweile so überlastet ist, biete ich von Zeit zu Zeit alte, analoge Spiele für drinnen und draußen an, die nicht viel Material benötigen: Fangspiele, diverse Ballspiele, Spiele mit Kreide und Gummi, Wortspiele, und noch viel mehr. Dabei hat mich überrascht, wie sehr Kinder z.B. Murmelspiele lieben und erstaunt sind, mit wie wenig Material spielen möglich ist.
  • Organisation von Spielen, die ich selbst nicht gerne durchführe, wie z.B. Schach.

Du siehst, ich setze sehr gerne Spiele / Übungen ein. Mit einer Weiterbildung zur Spielpädagogin habe ich ganz lange geliebäugelt.

Persönliche Highlights

Mit dem Tochterkind kamen natürlich auch Kindergeburtstage. Wir wollten nichts in irgendwelche Indoorspielplätze outsourcen, sondern stellten die Geburtstage immer unter ein Motto. Dazu haben wir Spiele, Schatzsuchen, kreatives Basteln und viel mehr angeboten. So gab es z.B. einen Zaubergeburtstag, an dem die Besucher:innen kleine Zaubertricks lernten und sie am Abend ihren Eltern vorführten (inklusive Plakat und Zirkusarena im Wohnzimmer). Oder die Motti Prinzessin, Diddl, Hexen, Dschungel, Ritter, Römer, Olympia und noch viel mehr. Okay, es war immer anstrengend, aber wir hatten alle großen Spaß daran. Die Kinder waren im Übrigen immer mit Begeisterung dabei, egal, ob wir im Regen oder bei Sonnenschein draußen waren.

Der Göttergatte und ich überlegten zu dieser Zeit ernsthaft, ob wir das nicht beruflich machen sollten. Das haben wir irgendwann wieder verworfen. Aber eines ist geblieben: Wir lieben große Spiele mit vielen Menschen genauso wie die kleinen und ruhigen. Dabei meine ich nicht so etwas wie Hüpfburgen. Außergewöhnlich sollte es schon sein. So etwas wie ein großes “4 gewinnt” oder diverse große Geschicklichkeitsspiele, Riesenfrisbees und viel mehr. Leider war das Meiste in der Anschaffung relativ teuer. Warum nicht selber bauen bzw. einmalig anschaffen und dann professionell an andere Spielesuchende ausleihen? Und zwar für alle Altersstufen. Gesagt, getan. So ist der Spieleverleih “AssesorFun” des Göttergatten entstanden. Die Spiele werden auch heute noch immer wieder zu unterschiedlichen Gelegenheiten gerne gebucht. Das Hauptthema ist häufig Holz und Magnet, aber auch anderes, wie z.B. Zorben oder Bauen mit Cuboro, einer besonderen Bausteineart, ist möglich.

Ja, du siehst, der Göttergatte, der anfangs nur ganz wenig spielte, ist mittlerweile begeisteter Spieler geworden. Er tüftelte und bastelte an immer neuen großen Spielen wie ein Riesenlabyrinth aus Holz, das man sowohl alleine, als auch zu zweit spielen kann. Seine Begeisterung spiegelte sich irgendwann darin, dass er ein eigenes Spiel erfand und selbst herstellte (frag nicht, wie unsere Wohnung zu der Zeit aussah!). Auch hier Magnet und Holz als Hauptbestandteile. Das Spiel hat es sogar bis zum “Goldenen Schaukelpferd” und in verschiedene Presseberichte geschafft. Ein Exemplar steht im Übrigen im Spielzeugmuseum in Nürnberg und kann dort bespielt werden. Also für jemanden, der ursprünglich gar nicht so spieleversessen war, eine ganz schöne Weiterentwicklung. Wie das Spiel heißt? Marble Shooter. Auf dieser Seite findest du mehr. Natürlich wurde das Spiel ausgiebig in der Familie getestet, bevor es auf den Markt ging. Du willst mehr darüber wissen? Dann schau doch auf der Homepage oder auf Youtube vorbei.

Mein Spielefavorit

Wir spielen fast täglich “Nochmal”

Ilka Kind fragt in ihrer Blogparade unter anderem auch nach meinem Lieblingsspiel. Das möchte ich dir nach diesem langen Plädoyer füs Spielen nicht vorenthalten. Ich spiele Vieles sehr gerne, aber eines hat mich seit ca. 4 Jahren so stark gepackt, dass ich es fast täglich in erster Linie mit dem Göttergatten spiele. Dabei ist es egal, ob wir im Urlaub oder zu Hause sind (passt auch in jeden Rucksack). Das ist das Spiel “Nochmal“. Meist setzen wir uns für ein Päuschen hin, trinken einen Latte Macchiato und spielen eine Runde. Dabei können wir uns unterhalten, erholen, auch mal beschimpfen (so im Spaß), was auch immer. Es tut gut, dauert nicht lange und ich kann hinterher auch gut etwas Neues starten. Die Ergänzungsversion “Nochmal so gut” haben wir auch, wir bleiben aber bei der Basisversion. Kennst du es? Wenn nicht, dann probiere es ruhig mal aus.

Fazit

Spielen, egal in welcher Form, bietet sehr viele Möglichkeiten und Vorteile: So kannst du zum einen Erfolg und Gewinnen erleben, aber natürlich auch Mißerfolg und Enttäuschung. Du kannst in eine andere Welt abtauchen, Unerwartetes erleben, du kannst dich dabei erholen, aber auch Anspannung erleben. Du kannst kreativ sein, analog oder digital spielen (wobei ich analog bevorzuge), alleine oder mit anderen. Spielen übt Menschen, egal ob groß oder klein, in selbstwirksamen Handeln, in demokratischer Bildung und Partizipation, in der Toleranz von Fehlern und Enttäuschung, in der Empathie und noch so viel mehr. Meiner Meinung nach ist Spielen unerläßlich für unsere Gesellschaft. Es fördert die mentale Gesundheit und die individuelle Entwicklung in verschiedenen Bereichen. Spielen ist Bildung von Anfang an. Es ist grenzenlos und bildet einen unerschöpflichen Gestaltungsraum. Es ist Ausgangspunkt für Kreativität und damit künstlerischem Schaffen und der eigenen Ausdrucksfähigkeit.

Gerade, wenn Spielen keinem Zweck unterliegt, können Kinder und Jugendliche freiwillig und selbstständig entdecken, forschen, experimentieren, sich ausprobieren. Spielen gehört zu unserer Kultur und nimmt dementsprechend einen besonders wichtigen Stellenwert ein. Daher ist es so viel mehr als “bloß Spielen”.

In diesem Sinne gehe ich jetzt noch eine Runde “Nochmal” spielen. Und was spielst du als nächstes?

2 Kommentare

  • Ilka Kind

    Liebe Anette,

    wie schön, dass du deinen Artikel über das Spielen noch geschrieben hast!
    Besonders interessant finde ich, was du über das Spielen mit Jugendlichen geschrieben hast, dass du hier häufig von “Übungen” und “Teambuilding-Maßnahmen” sprichst, weil das Wort “Spielen” oft mit Kinderkram gleichgesetzt wird. Was für eine Fehleinschätzung!
    Lustig ist ja, dass du mit deinem Mann genau wie ich eine “Nochmal”-Routine hast. Ich finde ja, dass dieses Spiel die perfekte Länge hat (wir spielen es immer nur ein Mal, deshalb finde ich den Namen etwas unglücklich) und herausfordernd genug ist, um es immer wieder zu spielen.

    Viele Grüße und viel Spaß beim Spielen
    Ilka

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