Ein Sabbatjahr – Vom Mut zu gehen und vom Mut, wieder anzukommen
Ein komplettes Jahr ist vorbei. Erst jetzt habe ich den Mut und die nötige Zeit, um zurückzublicken.
Das Jahr war insgesamt gesehen ein Auf und Ab, ein Wechselbad der Gefühle, denn coronabedingt konnten wir nicht richtig planen. Das, was wir eigentlich machen wollten, hatten wir uns eh schon abgeschminkt, aber so gar nicht wegkommen, wie es anfänglich aussah, das wollten wir natürlich nicht. Da hatte ich angespart, damit wir gemeinsam unseren Traum von einer Weltreise erfüllen konnten und nun das. Wir mussten uns anders sortieren, schauen, welche Einreisebedingungen herrschten, welche Voraussetzungen wir erfüllen mussten, ob wir eine mögliche Quarantäne mit einrechnen mussten. Und vor allem, wir konnten nicht so ohne weiteres von einem Land ins nächste reisen, außer in Europa. Wir mussten jedes Mal wieder nach Deutschland zurückkommen. Von den Malediven, von Sri Lanka, von Ägypten. Das erschwert das Reisen und den “Flow”. Dabei wünschte mir eine Kollegin noch so schön: “Go with the Flow”.
War es mutig, ein Jahr Auszeit zu nehmen?
Zu Beginn meinten viele: Ganz schön mutig, so ein ganzes Jahr weg sein, weg vom Alltag, weg von der Arbeit, der Familie, den Freunden etc.. Ja, sicher, es ist mutig, das alles für Wochen oder Monate zurückzulassen, um die Welt, neue Menschen, andere Kulturen kennenzulernen. Aber Du trägst ja all das, was Du zurücklässt, in Deinem Herzen mit Dir. Wirklich verschwunden ist gar nichts, nur vielleicht ein wenig weiter weg.
Oder mutiger, zurückzukommen?
Und plötzlich, wenn Du zurückkommst, merkst Du, dass Du überall dort, wo Du warst und Spuren hinterlassen hast, auch ein Stück Deines Herzens zurückgelassen hast. Du merkst, dass es nicht nur mutig war, loszuziehen.
Du kommst zurück und wirst nach all den Eindrücken wieder in Dein anderes, altes Leben zurück geschmissen. Zum ersten Mal damit konfrontiert war ich, als wir nach einem Vierteljahr im Wohnwagen zurückkamen. Während der Reise standen wir bis auf vier Nächte autark und häufig mitten in der Natur. Neben Deutschland in Schweden, im Baltikum, Polen. Alles in der Nebensaison, in der ohnehin nicht viele Menschen unterwegs waren. Coronabedingt sowieso noch weniger als normalerweise.
Und danach wieder in Bonn anzukommen. Klar, ich schätzte mein Bett wieder sehr. Ebenso, wieder warm duschen zu können, wann ich es wollte. Nicht nur dann, wenn das Wasser in der Solardusche warm genug war, oder der Wind gerade nicht so stark oder die Außentemperatur gerade passte. Der kleine Luxus, einen Kaffee zu trinken im Lieblingscafe´. Mir waren zunächst die vielen Menschen und Autos auf den Straßen zu viel, die Erreichbarkeit, der Papierkram, der liegengeblieben war und erledigt sein wollte, Arzttermine, das Gefühl, plötzlich so gar keine Zeit mehr für mich zu haben.
Mein einsamer Kampf
Ich kämpfte. Mit den vielen Möglichkeiten, die ich auf einmal wieder hatte. Mit wie wenig bin ich im Wohnwagen ausgekommen? Und das war ja schon keine wirkliche Einschränkung – außer die Dusche.
Mit dem vielen Raum, der auf einmal wieder da war, die fehlende bombastische Natur, Stille, wenn ich sie haben wollte, die vielen Klamotten, aus denen ich “was Vernünftiges” für Treffen heraussuchen musste. Warum? Während der Tour hat mir doch auch viel weniger gereicht. Mir fehlte aber auch die Offenheit und Herzlichkeit der Menschen.
Viele haben das gar nicht mitbekommen, wie es mir in der Zeit des “Wieder Ankommens” wirklich ging. Fragen nach dem wirklich Erlebten waren schnell mit: “Und? Was war Dein Highlight? Ach so, ja habe ich auch schon gesehen” abgetan.
..und nochmal raus aus Deutschland
Danach unsere Trips nach Sri Lanka und Ägypten, das Eintauchen in eine so komplett andere Welt, weit weg von unserer zu Hause. Eine andere Art zu leben kennenlernen, mit dem Rucksack reisen (endlich) und nicht wissen, wo man den nächsten Tag oder Nacht verbringt. Aber trotzdem darauf vertrauen, dass alles gut ist oder wird. Natur zu sehen, die ich vorher noch nicht gesehen habe. Was waren das für Gebirgsformationen auf der Halbinsel Sinai. So faszinierend, so unwirklich. Und Tiere in Sri Lanka, von denen ich anfangs nicht glaubte, dass wir sie sehen können. Neugierige Elefanten, nur eine Armlänge von mir entfernt. Farbenprächtige Eisvögel und noch so viel mehr. Alte, wirklich alte Kulturen. Da kann sich unsere dahinter verstecken. Beduinen, die mit ihren Familien in der Wüste leben, immer mindestens ein Kamel dabei, aber auch einen Jeep und Smartphone. Ich fühlte mich in dem vergangenen Jahr oft wie ein Kind, staunend vor etwas stehen oder sitzen und versuchen, es zu begreifen.
Was nun?
Was ich jetzt mache? Ich merke, dass ich mich nicht mehr so eng einbinden lassen möchte. Ich möchte Zeit für die wirklich wichtigen Dinge im Leben haben. Zeit, um Neues kennenzulernen. Das Leben bietet so viel Buntes. Und ja, auch wenn ich gerade ein Jahr frei hatte, so möchte ich weiterhin die Freiheit haben, dann wieder losfahren zu können, wenn mir danach ist. Freiheit – ein Wort, dessen Bedeutung ich in diesem Jahr noch stärker kennen und schätzen gelernt habe.
Ich hätte nicht gedacht, dass mich dieses Jahr so verändern würde, aber es hat doch einiges bewirkt. Ich wusste ja von früheren Reisen, dass ich nicht nur ein Teil meines Herzens dort lassen würde, dass ich aber auch einiges in meinen Alltag integriert habe. Und jetzt? Jetzt hinterfrage ich vieles, will mich nicht mehr in alte Gewohnheiten pressen lassen, will das gehen lassen, was nicht mehr zu mir passt. Und dafür brauche ich Mut, um das durchzuziehen. Das hätte ich vorher nicht gedacht. Mich stören Dinge, die mir vorher schon negativ aufgefallen waren, noch viel mehr. Schon fast so stark, dass es jetzt schmerzhaft ist. Ich merke, dass ich einiges verändern und Entscheidungen treffen muss.
Es braucht nicht nur Mut, um dieses Jahr durchzuziehen, es braucht mindestens genauso viel Mut, wieder anzukommen und das zu entfernen, was nicht mehr passt, die Gefühle zulassen, die mir guttun. Vor allem das Gefühl der Freiheit und Leichtigkeit.
Die Sehnsucht bleibt immer da in meinem Herzen. Die Sehnsucht, wieder reisen zu können, die fast schon wehtut, obwohl ich doch gerade erst angekommen bin. Aber auch wieder nach Hause kommen und sich dem allen zu stellen, was ich gerade beschrieben hat.
Reisen ist Transformation – und dafür musst Du bereit sein.
2 Kommentare
Michaela Schächner
Liebe Anette, danke den Einblick in deine Gedanken. Ich kann die Enttäuschung über die coronabedingten Einschränkungen sehr gut nachvollziehen.
Ich glaube auch, dass das wieder Ankommen eine große Herausforderung ist, deren Ausgang unberechenbar ist. Ein Jahr ist lang. Da kommen so viele Erfahrungen/Gedanken ins Leben und eine Art Absprung war ja schon da. Quasi der Beweis, ja ich/wir können hier auch mal raus. Und dann ist man wieder daheim. Aber was heißt das? Weitermachen, wo man ursprünglich aufgehört hat neue Einflüsse für Veränderung nutzen und dann noch die Daheimgebliebenen, die oft gar nicht verstehen, dass nicht die gleichen Menschen zurückkommen, wie die die ursprünglich gegangen sind… Ich bin gespannt, wie es weitergeht und nehme eure Geschichte gern als Inspiration für mich mit . Danke
Anette
Liebe Michaela, ja, ich bin auch gespannt, wie es weitergeht. Ich denke, Du verstehst, sehr gut, wie ich mich fühle. Danke für Deinen Kommentar.