Persönliches,  Stressmanagement

Veränderungen gewünscht: Mein Wunschzettel an die Schule

Als Schulsozialarbeiterin hat mich das Thema der Blogparade von Dina Mazzotti “Wunschzettel an die Schule” sofort gepackt und nicht mehr losgelassen. Wünsche an die Schule bzw. an die Bedingungen, an die Vermittlung von Lernstoff habe ich jede Menge, ob als Mutter einer mittlerweile erwachsenen Tochter oder eben als unmittelbar betroffenen Schulsozialarbeiterin. Ich weiß, dass es viele engagierte Lehrer:innen gibt, die für ihren Beruf brennen. Häufig brennen sie dadurch aber auch aus, weil sie so manches Mal gegen Windmühlen arbeiten müssen.

Im folgenden Artikel findest du meine Wünsche, ohne Rücksicht darauf, ob sie zu tatsächlich verwirklichen sind. Ich tue einfach mal so, als ob diese Wünsche verwirklichbar sind, in der Hoffnung, dass sie eines Tages Realität werden.

Ist unser Schulsystem noch zeitgemäß?

Wir haben in Deutschland ein gegliedertes, fünfstufiges Schulsystem. Neben der Primarstufe (Grundschule) und der Sekundarstufe I und II zählt auch noch der tertiäre und quartäre Bereich, wie Hochschulen, Volkshochschulen und Weiterbildungsangebote dazu. Der Vorschulbereich wird allerdings nicht dazu gerechnet. Wir sind also unser ganzes Leben lang von Bildung umgeben.

Eine allgemeine Schulpflicht existiert seit ca. 300 Jahren. So alt ist demzufolge auch das derzeitige Schulsystem. Einst als Kirchenschulen eingeführt, ging es irgendwann zu kommunalen / staatlichen Schulen über. Die vierjährige Grundschulzeit gibt es seit der Weimarer Republik. Schwer vorstellbar, dass sich seitdem nichts bzw. kaum mehr etwas geändert hat. . Sicher, es gab immer wieder Reformen, nicht immer zum Wohle der Schüler:innen. Ich erinnere an das unsägliche G8 an den Gymnasien.

Mittlerweile gibt es jede Menge an Untersuchungen, Hirnforschungen, Empfehlungen, Reformationsgedanken, aber halten sie Einzug in die Schulen? Mal ja, mal nein. Und wenn etwas umgesetzt wird, dann hat man häufig den Eindruck, es kommt eher von Menschen hinter Schreibtischen als von Praktikern oder Menschen, die ein wohlwollendes Augenmerk auf die Schülerschaft hat. Häufig muss dann auch etwas ganz schnell umgesetzt werden, ohne dass dabei überlegt wird, mit welchen Mitteln und welchen Ressourcen. Gut gedacht, schlecht gemacht, bleibt dann als schaler Eindruck.

Kann ein solches Schulsystem überhaupt noch Bestand in der Zukunft haben? Oder sollten wir nicht nur den Blick über den Tellerrand nach Skandinavien werfen, sondern auch konkret überlegen, was den Unterschied ausmachen könnte?

Gelingensbedingungen

Aus der Hirnforschung wissen wir mittlerweile, dass Kinder und Jugendliche am besten lernen können, wenn sie Spaß am Lernen haben und sie über ihr Lernen vollständig selbst bestimmen können. Kinder sind von Natur aus neugierig. Der Wunsch zu lernen ist schon fast ein Grundbedürfnis. Kinder wollen die Welt, in der sie leben, verstehen, begreifen und sich in ihr zurechtfinden. Daher brauchen Schüler:innen, um optimal lernen zu können, ein Umfeld, das frei von Angst und Druck ist, in dem sie ihren eigenen Interessen nachgehen können, eigenen Erfahrungen sammeln und vor allem: in dem sie Fehler machen dürfen, aus denen sie ohne Reglementierungen lernen können.

Ich wünsche mir daher, dass die Verantwortlichen nicht nur darüber nachdenken, ob das Schulsystem in der jetzigen Form noch zeitgemäß ist, sondern auch wie sinnvolle Veränderungen umsetzbar sind. Es heißt auch darüber nachzudenken, ob große Schulsysteme für alle Schüler:innen sinnvoll sind und wenn ja, in welcher Ausformung? Was ist zum Beispiel mit den Kindern, die besser in kleinen Systemen lernen können? Die sich in großen Klassen und Pausenhöfen verloren fühlen? Wie gesagt, das Bedürfnis, zu lernen, sollte als Grundbedürfnis jedes einzelnen Kindes erkannt werden. Somit rückt auch das einzelne Kind in den Mittelpunkt.

Rahmenbedingungen

Das führt mich sofort zu den Rahmenbedingungen. Meine Wünsche dafür sind folgende:

Bild: Luisella Planeta auf Pixabay
  • Kleine Klassen bis maximal 15 Schüler:innen. So kann jede:r Einzelne:r gesehen, ernst genommen und gefördert werden.
  • Doppelbesetzung in den Klassen. Auch hier wird die Einzelförderung deutlich wahrscheinlicher.
  • Entsprechende Räumlichkeiten. Die Möglichkeit eines Rückzuges im Klassenraum, der Gruppenbildung, des Austausches sollte gewährleistet sein. In den Grundschulen ist das häufig der Fall, in den weiterführenden Schulen eher nicht.
  • Auslagerung von Unterrichtsräumen ins Freie oder andere Räumlichkeiten. Weg von starren Raumbesetzungen
  • Einbeziehung von schulexternen Menschen, die den Unterricht um ihre Sichtweise deutlich erweitern können.
  • Heterogene Gruppen. Es ist erwiesen, dass Jüngere gut von Älteren lernen. Warum sollte das nicht in der Schule umsetzbar sein?
  • Zeit für Beziehungsaufbau.
  • Verabschiedung vom 45-Minuten-Takt hin zu einer flexiblen Stunden- und Pausenregelung.
  • Und damit auch ein möglichst offener Unterrichtsbeginn. In Grundschulen wird das häufig bereits so gehandhabt, an den weiterführenden Schulen muss jedoch weitestgehend eine starre Anfangszeit eingehalten werden.
  • Mehr Rückzugsmöglichkeiten im gesamten Schulgebäude.
  • Gesundes und kostenfreies Essen für alle Schüler:innen.
  • Eine anregende Umgebung.
  • Freie Zeiteinteilung von Lerninhalten je nach Interessen der Kinder

Lerninhalte

Schüler:innen kommen in die Schule mit einer natürlichen Neugier. Warum diese natürliche Neugier mit dem Eintritt in die Schule stoppen, anstatt sie weiter zu fördern? Mein Wunsch ist, dass in den Schulen individuelles Lernen möglich ist. Mit der sogenannten Freiarbeit ist ein erster Schritt in die richtige Richtung gemacht. Kinder können in ihrem eigenen Tempo an einem Thema arbeiten und selbst entscheiden, wie viel sie von den zur Verfügung gestellten Arbeitsblättern bearbeiten wollen. Das nimmt Angst und Druck weg und unterstützt sie in ihren Fähigkeiten und Stärken.

Lerninhalte sollten aber ebenso die Lebenswirklichkeit abbilden. Denn das ganze Leben ist Lernen. Warum nicht auch umgekehrt? Lernen wir nicht am besten, wenn wir wissen, wofür? Wenn wir mit Leidenschaft dabei sind? Wenn es uns Spaß macht? Darüber hinaus gibt es Erkenntnisse aus der Psychologie, dass Menschen am besten lernen, wenn es Bedeutung für sie hat, wenn wir in einer Gruppe mit Gleichgesinnten lernen können, wenn wir uns dort aufgehoben fühlen, wenn wir keine Angst vor Bewertung haben müssen, wenn wir angespornt und wertgeschätzt werden, wenn der / die Lehrer:in / Erwachsene als Vorbild für sie fungiert.

Das impliziert ja schon, dass Unterricht weitestgehend weg vom Frontalunterricht gehen sollte, hin zu freiem Lernen, in Gruppen. Und dass die Rahmenbedingungen entsprechend der oben genannten Ausführungen angepasst werden. Mein Wunsch ist zudem, weg von althergebrachten Schulfächern zu denken. In Projekten zeigt es sich immer wieder, wenn ein Thema ganzheitlich angegangen wird, dann kann es von Schüler:innen auch besser aufgenommen und umgesetzt werden. Oder wie wäre es mit einem Unterrichtsfach “Glück”? In dem über das Leben diskutiert werden kann?

Personal an Schulen

Mein Wunsch ist außerdem, dass Schulen weg vom Gedanken kommen, dass nur Lehrer:innen für die Vermittlung von Wissen / Lebensfähigkeiten zuständig sind. Vielmehr sollten selbstverständlich andere Professionen gemeinsam mit den Lehrer:innen als Team arbeiten und so unterschiedliche Perspektiven vermitteln können. Ich denke da natürlich nicht uneigennützig an Schulsozialarbeiter:innen, und zwar in ausreichender Zahl. Eine Vollzeitstelle für 500 Schüler:innen ist nicht genug. Da muss dringend nachgebessert werden. Hinzu kommen für mich natürlich auch Berufe wie Lerntherapeut:innen, Sonderpädagog:innen, Ergotherapeut:innen etc. Es muss ein multiprofessionelles Team bereitstehen, um die unterschiedlichen Bedürfnisse auffangen zu können. Damit meine ich nicht, dass Mitglieder dieses Teams mal eben schnell den Unterricht im Krankheitsfall übernehmen müssen, wie das leider immer wieder passiert. Vielmehr sollte jede Profession ihre Berechtigung und originäre Arbeit leisten können, um eben individuelles Lernen zu ermöglichen.

Mein Wunsch an Schulen ist, dass den beteiligten Professionen eine Teilnahme an Supervisionen ermöglicht wird. So ist gewährleistet, dass das Klima eines Teams an Schulen sowie deren Arbeit reflektiert und damit kontinuierlich verbessert wird. Vielleicht bleibt so die Leidenschaft für die Arbeit an Schulen länger erhalten.

Regelmäßige Fortbildungen und angemessene Bezahlung aller Professionen sollte ohnehin selbstverständlich sein. Für mich drückt das eine Wertschätzung dessen aus, was in heutigen Schulen alles gemanagt werden muss.

Wertevermittlung

Ein großer Wunsch von mir ist, sozialer Benachteiligung entgegenzuwirken und damit bestimmte Werte festzuzurren. Das bedeutet Chancengleichheit an Schulen: Bildung und Lernen darf nicht abhängig vom Geldbeutel der Eltern sein. Das heißt wiederum, alle Angebote, die Schulen machen, dürfen nicht mit Kosten für Eltern verbunden sein. Ob das die Klassenfahrt, ein Austauschprogramm, der Wandertag, das Mensaessen, Bücher, Stifte und sonstige Ausstattung ist. Das alles sollte kostenfrei sein. Nur so kann Chancengleichheit gewährleistet werden. Nebenbei lernen die Kinder, dass alle Menschen gleich behandelt werden.

Ein weiterer Wunsch ist die konsequente Vermittlung von demokratischen Werten. Das bedeutet: Mitbestimmungsrechte der Schüler:innen, gleiches Stimmrecht in Versammlungen für alle, egal, welches Alter, welche Position jemand bekleidet. Gemeinsame Entscheidungen über alles, was Schule betrifft, wie z.B. Regeln, Projekte, etc.… Das fördert in meiner Vorstellung idealerweise unter anderem Respekt und Toleranz, Übernahme von Verantwortung für das eigene Handeln, Akzeptanz von Vielfalt, aktive Beteiligung an der Entwicklung des eigenen Umfeldes, Entwicklung von richtigen Persönlichkeiten. Schüler:innen brauchen dafür Menschen, die das tagtäglich vorleben, die für ihre Arbeit und ihr Tun brennen und die Bodenhaftung dabei nicht verlieren.

Und schließlich: die Eltern

Derzeit geben viele Eltern die Verantwortung für die Bildung ihrer Kinder an der Schultür ab. Es ist doch auch bequem, wenn zu Hause keine Hausaufgaben mehr gemacht werden müssen, weil dafür doch genügend Zeit in der Ganztagesschule oder der Nachmittagsbetreuung ist. Dadurch wird ein wichtiges, aber auch konfliktträchtiges Thema aus der Familie genommen. Das entzerrt sicher so manche schwierige Situation. Bis es irgendwann nicht mehr funktioniert. Dabei kennen die Eltern ihre Kinder meist doch am besten. Sie wissen, wo deren Stärken und Fähigkeiten liegen, wo Förderung wichtig ist. Warum also nehmen sich viele Eltern raus? Sie, bzw. Mitglieder der Familie (Großeltern etc.) können außerdem gemäß meinen obigen Ausführungen Vorbilder für die Kinder sein, an und mit denen sie lernen können, wie das Leben funktioniert. Mein Wunsch: Kontinuierliche Zusammenarbeit zwischen Eltern und Schule. Damit verbunden ist natürlich auch die Bereitstellung von angemessener Zeit für das Schulpersonal für eine solche Zusammenarbeit.

Wer kennt das nicht? Wenn jemand aus der Schule anruft, ist garantiert etwas passiert. Wie wäre es, wenn in regelmäßigen Gesprächen auch positives zu berichten wäre? Welche Fähigkeiten und Stärken das jeweilige Kind zeigt und wie es sich entwickelt? Elternsprechtage sind derzeit größtenteils nur dafür da, um den aktuellen Stand anhand von Noten mitgeteilt zu bekommen. Mehr Zeit ist häufig nicht. Eltern wiederum sollten aber auch die Aufgabe ernst nehmen, dass es um ihr Kind geht. Beteiligung an Elternabenden, Übernahme von Aufgaben, verpflichtende Entwicklungsgespräche ernst nehmen und überlegen, wie das eigene Kind gesteckte Ziel erreichen kann, das sind für mich wesentliche Aspekte der Zusammenarbeit für bzw. mit dem Kind.

Fazit

Damit Schule sich zugunsten der Schülerschaft verändert, sind noch viele Schritte, viele Perspektivwechsel und viele gemeinsame Diskussionen nötig. In meinem Artikel habe ich nur einige Aspekte angesprochen, es gibt jedoch noch andere. Fakt ist: Veränderung ist nötig. Sie muss gut überlegt werden und nicht vom Schreibtisch, sondern von der Praxis aus gelöst werden.

Meine Vorschläge erscheinen dir zu extrem oder radikal? Mag sein. Es gibt jedoch immer wieder pädagogische Ansätze, die genau das berücksichtigen, wie z.B. Summerhill, sogenannte “freie Schulen” mit Alternativpädagogik oder demokratische Schulen. Oder die Green school Bewegung, die ich auf Bali miterleben durfte. Solche Bewegungen zeigen, dass es auch anders gehen kann. Wie lange hat es zum Beispiel gedauert, bis in Deutschland Waldorfschulen oder Montessorischulen anerkannt wurden? Sind wir es unseren Kindern denn nicht schuldig, über die Sinnhaftigkeit von alten und neuen Ansätzen nachzudenken? Schließlich geht es um unsere Kinder und deren Zukunft. Ich erwarte nicht, dass wir von heute auf morgen die Schullandschaft verändern. Ich wünsche es mir aber sehr. Und wie ein chinesisches Sprichwort sagt:

Eine lange Reise beginnt mit dem ersten Schritt. 

Chinesische Weisheit

Machen wir uns auf. Für unsere Kinder, für unsere Zukunft, für uns selbst.

Bild: Harambee.at

Du willst sehen, wie Schule die Lebensbedingungen positiv beeinflussen kann? Hier ein Beispiel einer Schule in Kenia. Unterstützung in Form von Spenden sind jederzeit erwünscht und kommen 1:1 auch an!

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