Persönliches

Frauen Ü50: Altes Eisen oder Fabulous Fifties?

Zwei Blogparaden aus “The Content Society” warteten mit Themen auf, die mich richtig “anfixten”. Das eine war die von Silke Geissen “Wechseljahre und dann? Endstation unsichtbar oder Time of your life?“. Mich bewegten die Fragen: “Wieso sollte ich unsichtbar sein, wenn ich die Wechseljahre hinter mich gebracht habe (oder gerade darin stecke)? Ist die Zeit danach wirklich so schlimm?”

Und dann ist da noch die Blogparade von Mia Brummer, deren Thema ich als sehr provokante Frage auffasste: “Für was sind Frauen ab 50 überhaupt noch gut?“. Böse, böse. Eigentlich gibt es darauf nur eine Antwort: “Ich verstehe die Frage nicht”.

Aber ist es wirklich so einfach?

Ein Blick in die Vergangenheit

Okay, als ich Jugendliche war, fand ich alle jenseits der 20 uralt, meine Eltern eingeschlossen – obwohl sie das de facto nicht waren. Meine Großmutter mütterlicherseits ist in meiner Erinnerung äußerlich immer eine Oma gewesen. Das bedeutet, sie hatte die für die 70er Jahre typischen Kittelschürze an, ihre grauen Haare hatten die damals übliche Dauerwelle, eine Brille saß auf der Nase. Sie ging immer leicht gebückt und war auch immer wieder im Krankenhaus. Bei meiner Geburt war sie in etwa so alt wie ich heute.

Und auch als junge Erwachsene konnte ich mir tatsächlich nicht so richtig vorstellen, ob Frauen jenseits der 50 noch Spaß am Leben haben konnten. Ich beobachtete, dass viele Frauen dieser Generation früh mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatten. Die typischen Wechseljahreserscheinungen, wie Hitzewellen, machten ihnen wohl teilweise sehr zu schaffen. Konnte das Leben so noch Freude machen? War das Leben da nicht schon so gut wie vorbei? Und ich muss gestehen: Ich hatte Angst vor dieser Phase des Lebens.

Nun bin ich selbst 56 und kann voller Überzeugung sagen: Das Leben macht unheimlich viel Spaß, einiges hat sich verändert – und das nicht unbedingt zum Schlechtesten.

Mein Werdegang zur Ü50

Am Anfang meines Erwachsenenlebens war ich immer das Küken: während der Abizeit, im FSJ, während meines Praktikums in der Bewährungshilfe. Die Menschen, die uns angeleitet haben, leben heute zum Teil schon nicht mehr.

Meine beiden ersten Stellen trat ich in der Betreuung von Jugendlichen in Wohngruppen an. Unser Team wurde bewusst jung ausgewählt, damit der Abstand zu den Jugendlichen nicht ganz so krass ausfiel. Auch, wenn wir in deutlich anderen Lebenssituationen steckten. Wie alt mussten wir wohl den Jugendlichen vorgekommen sein?

Schließlich begann ich meine Stelle als Schulsozialarbeiterin. Ich senkte, gemeinsam mit einer Referendarin, den Altersdurchschnitt deutlich. Die Lehrer:innen kamen mir alt und grau vor. Allerdings bemerkte ich, dass gerade diese Frauen im Bildungssystem versuchten, Änderungen zu bewirken, die ich für sehr fortschrittlich hielt. Wie kamen diese Frauen auf solche Ideen? Und woher nahmen sie die Lust und Leidenschaft zu der doch schwierigen Arbeit? Ich bemerkte, dass es eine Gruppe von Frauen – alle jenseits der 50, inklusive Schulleitung – gab, die sich gegenseitig inspirierten, die andere begeistern konnten und die einen ganz besonderen Draht zu den Schüler:innen hatten. Mein Weltbild von den Ü50 Frauen geriet ins Schwanken.

Ich glaube heute, dass mich gerade die Arbeit mit diesen Frauen und mit den Jugendlichen beeinflusst und jung im Kopf gehalten hat.

Worauf kommt es eigentlich an?

Ist es mit dem Leben Ü50 so wie mit einem guten Wein? Den man nur mit Menschen teilt, die es auch zu schätzen wissen? Den man genießen kann? Meine Antwort darauf: Ein eindeutiges Jein! Denn ich habe es in der Hand, wie ich das Leben jenseits der Wechseljahre oder eben mitten drin sehe. Wie ich dazu stehe, in der sogenannten zweiten Lebenshälfte angekommen zu sein. Ob ich mich zurückziehe oder Party mache. Für mich kommt es da im Wesentlichen auf folgende Punkte an:

Zeit

Ich bin mir bewusst, dass ich keine Zeit mehr zu verschenken habe. Immerhin habe ich die Hälfte meines Lebens schon hinter mir – oder sogar noch mehr. Ich will nicht mehr stundenlang auf Menschen warten, die nicht pünktlich sind und meinen, es kommt auf eine Stunde mehr oder weniger nicht an. Doch! Darauf kommt es an, denn es ist eine Stunde meiner Lebenszeit, die du verplemperst, nur weil du es nicht schaffst, pünktlich zu sein. Außerdem finde ich es respektlos mir gegenüber zu meinen, ich als Ü50 hätte doch nicht mehr so viel um die Ohren. Das bestimme immer noch ich.

Aber ich will mich auch nicht darüber aufregen. Das macht nur noch weitere Falten und ist nicht gesund für meinen Blutdruck. Daher gibt es für solche Menschen in meinem Leben nur maximal eine zweite Chance, das auszubügeln. Ansonsten halte ich mich fern von notorischen Zuspätkommern.

Loslassen können

Irgendwann ist die Zeit vorbei, in der es nur noch Hochzeiten und Geburten zu feiern gibt. Abschied nehmen von Menschen, die einem sehr am Herzen liegen, wird häufiger. Vorbei die Zeit, in der ich keine angemessenen Klamotten für Beerdigungen hatte. Es ist die Zeit, in der Lachen und Weinen, Leben und Sterben nah bzw. deutlich näher beieinander liegen.

Es ist aber auch die Zeit, in der ich unnötigen Ballast loswerden will. In Dingen wie auch bei Menschen und Beziehungen. Ich will mich nicht mehr mit Dingen zumüllen, die mir meinen Alltag erschweren und einengen. Alleine die Vorstellung, dass das Tochterkind den ganzen Kram irgendwann entsorgen muss – da mache ich das doch lieber selbst und befreie mich davon. Beeinträchtigt mich das als Person? Ganz sicher nicht.

Aber auch Menschen loslassen können, die eigenen Kinder ziehen lassen können, vermeintlich gute Freunde, die sich für einen anderen Weg entscheiden, von Eltern, die sterben, sich zu verabschieden, all das ist dann doch nicht so einfach. In meinem Bekanntenkreis gibt es kaum Menschen, die noch nicht den Verlust mindestens eines Menschen erlitten haben oder sich mit Fragen von Pflegeheimen für ihre Angehörigen kümmern müssen. Oder aber lernen, wie es ist, nahestehende Personen an Demenz oder Alzheimer allmählich zu verlieren.

Loslassen muss ich auch die Jugendlichkeit, die Fruchtbarkeit, die mit den Wechseljahren verschwindet. Den Alterungsprozess wahrnehmen. Jedes Gesicht erzählt irgendwann seine eigene Geschichte. Meines auch und das ist auch gut so. Ich lasse mich ganz sicher nicht zu einer Barbie umoperieren, aber dezente Verjüngungsmethoden wie eine gute Kosmetik sind dennoch nicht zu verachten.

Körper

Okay, mit den Wechseljahren kommen bestimmte Beschwerden dazu: depressive Verstimmungen, Hitzewallungen, Schlafstörungen, das kleine Bäuchlein durch Gewichtsschwankungen und dergleichen mehr. Ich muss gestehen, dass ich Gottseidank von vielem verschont geblieben bin. Hitzewallungen kenne ich gar nicht, aber Gewichtsschwankungen und depressive Verstimmungen sehr wohl. Ist in der Zeit mitunter nicht immer so einfach mit mir gewesen.

On tour

Was ich außerdem merke ist, dass es in Gesprächen häufiger um zu erwartende Untersuchungsergebnisse geht, um Verdauung und alternative Heilmethoden, um Kosmetik und Ernährung mit Superfood, um Krankengymnastik statt um Hot Iron und Six Pack. Der Körper macht Veränderungen durch. Aber auch das ist in Ordnung. Ich muss beim Backpacking, das ich immer noch betreibe, nicht mehr in den billigsten Hostels mit mieser Matratze schlafen und mit Rückenschmerzen am nächsten Morgen aufwachen. Da gönne ich mir dann doch die bessere Unterkunft, um fit und ausgeruht in den Tag zu starten. Schlafmangel oder schlechten Schlaf stecke ich im Übrigen auch nicht mehr so leicht weg.

Auch Sexualität ändert sich. Nicht hin zu Inaktivität, wie vielleicht manch eine:r vermuten wird. Für mich war es als Kind bzw. Jugendlich unvorstellbar, dass Frauen Ü50 noch Sex haben. Als asexuelle Wesen ohne Lust und Leidenschaft habe ich sie betrachtet. Mittlerweile weiß ich, dass Sexualität kein Alter kennt. Vielleicht verändert sich der zügellose Sex und andere Dinge werden wichtiger, aber asexuell?

Fab. Fifties?

Das hört sich jetzt alles so negativ an, aber die Erfahrungen, die ich gemacht habe, haben mich zu der Ü50 Frau gemacht, die ich heute bin. Dazu gehört:

  • Nichts mit grauer Maus und Kittelschürze. Ich trage das, worauf ich Lust habe. Okay, so bunt oder knalleng wie in den 20ern ist es vielleicht nicht mehr. Aber ich suche mir das aus, was ich mag, egal was mein Umfeld dazu sagt.
  • Meine Haare sind mittlerweile ergraut und nach Jahren des Färbens (seit ich Mitte 20 bin) habe ich mich dazu entschlossen, nur noch grau zu tragen. In der Schule ist das für die Schüler:innen überhaupt kein Problem. Ob ich mir irgendwann mal wieder eine Strähne färbe? Vielleicht. Die Dauerwelle meiner Oma wird es mit Sicherheit nicht.
  • Habe ich FOMO? Also Angst, irgendetwas zu verpassen oder nicht mehr zu erleben? Den neuesten Film? Die letzte Party? Ein Konzert? Nö. Ich habe auch kein Problem zuzugeben, dass ich gerne zeitig nach Hause gehe. Mir fehlt sonst Schlaf.
  • Mir ist (fast) nichts mehr peinlich. Warum auch? Das Tochterkind ist mittlerweile erwachsen und kennt mich gut genug. Für sie muss ich mich nicht (mehr) zurücknehmen.
  • Ich entschuldige mich mittlerweile meist nur noch, wenn ich es tatsächlich auch so meine. Das war in früheren Jahren oft nicht so.
  • Meine heutigen Fähigkeiten habe ich mir kontinuierlich erarbeitet und erweitert. Ich schöpfe sozusagen aus dem Vollem. Das war nicht immer ganz einfach und so locker zu managen, gerade mit Familie und Job. Aber auch das hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin. Und mich letztendlich den Schritt in die Selbstständigkeit mit über 50 noch wagen lassen. Warum auch nicht? Ich liebe es, meine Erfahrungen weiterzugeben, quasi als Mentorin für andere zu fungieren, die noch nicht da stehen, wo ich heute stehe. Das macht es doch aus.
  • Bin ich erwachsen geworden? Ich denke schon. Aber in meinem Herzen sitzt immer noch die kleine Anette, die Buntheit in jeglicher Form, ob in Gedanken, in Handlungen, in Klamotten etc. liebt und das auch immer wieder nach außen trägt. Die Arbeit als Schulsozialarbeiterin mit jungen Menschen und vor allem mit Mädchen – mein Herzensprojekt mit meinen Selbstbehauptungskursen – füttert das. Genau hier will ich Mädchen stärken, Fähigkeiten fördern, Beziehung und Reibungsfläche zugleich anbieten. Die kleine Anette weiß, dass das so wichtig ist. Und ab und zu ein Krönchen aufsetzen oder aufgesetzt bekommen und sich gut fühlen schadet sicher nicht. Was habe ich denn schon zu verlieren?

Fazit

Ich merke eine größere Gelassenheit in mir, einen großen Erfahrungsschatz, aus dem ich schöpfen kann und noch ganz viel Neugier auf das, was das Leben mir noch zu bieten hat. Bisher gab es viele wundervolle Momente, die mich reifen und erwachsen werden ließen: Partnerschaft, Elternsein, Berufsleben. Aber auch viele Momente, die mit schmerzhaften Erfahrungen verbunden waren: Partnerschaft, Elternsein, Berufsleben. Ich weiß, das Leben hat mir vieles geschenkt. Nur weil ich jetzt Ü50 bin, will ich das nicht aufgeben. Ich will das Leben selbst gestalten und in die Hand nehmen, sodass es mir neben den bereits geschenkten “ersten Malen” noch weitere erste Male schenkt. Auch wenn ich weiß, dass meine Lebensjahre nicht mehr zunehmen werden und ich deswegen eigentlich unzufrieden sein müsste, glaube ich daran, dass ich gerade deswegen zu schätzen weiß, was das Leben für mich noch bereithält. Das macht mich zufrieden und lässt mich jeden Tag voller Spannung in das Leben jenseits der 50 starten. Fabulous Fifties halt. Oder Abenteuer Leben 2.0. Wie auch immer. Das Leben jenseits von Wechseljahren und der magischen Zahl 50 ist bunt. Viel zu vielfältig als ein graues, ernstes und würdevolles Leben zu fristen.

Ich bin neugierig! Ich will noch vieles erleben! Leben, komm her! Time of my Life!

Ein Kommentar

  • Susan

    Liebe Anette,
    du sprichst hier wahre Worte. Ich nehme beim Wandern mittlerweile auch Hotels mit guten Betten. Für schlechten Schlaf ist mir mein Leben doch zu kurz.
    Liebe Grüße Susan

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