Weltfrauentag 2023 – “Embrace Equity”
Es ist wieder so weit: Der Weltfrauentag ist da. Jedes Jahr frage ich mich, ob wir diesen Tag überhaupt immer noch brauchen. Wie ich grundsätzlich dazu stehe und was die Ursprünge dieses Tages sind, das habe ich bereits in diesem Artikel verbloggt. Darin habe ich die Auffassung vertreten, dass ich einen Frauentag für sinnlos halte, wenn an den restlichen 364 Tagen des Jahres nichts zu diesem Thema passiert.
Meiner Meinung nach tut sich allerdings viel zu wenig. Deswegen greife ich das Thema nochmals auf.
Embrace Equity
Das Motto des diesjährigen Weltfrauentages ist Embrace Equity, was so viel wie “Die Gerechtigkeit / Fairness umarmen” oder “Die Gleichstellung umarmen”. Meinem Verständnis nach geht es dabei darum, die Gerechtigkeit bei der Verteilung von bestimmten Dingen / Lebensumständen zwischen den Geschlechtern herzustellen. Die sogenannte Lücke / Gap zu schließen. Dabei ist es egal, in welchem Land ich mich gerade befinde oder welches Thema gerade ansteht.
Aktuelle Situation des Weltfrauentages
Mich nervt, dass es genau zum Weltfrauentag auf dem Markt – ganz klischeehaft – viele Angebote nur für Frauen gibt: über Parfüm, Blumen hin zu pink farbigen Utensilien in jeglicher Richtung. Verkommt der Frauentag da nicht zu einem Abklatsch des Valentinstages? Was war gleich nochmal die ursprünglich Absicht bzw. Parole der Frauenbewegung von 1910? „Keine Sonderrechte (für Frauen), sondern Menschenrechte!“ Was haben die meisten kommerziellen Angebote in Deutschland damit zu tun? Nichts!
Immerhin: In Berlin und Mecklenburg-Vorpommern ist der 8. März mittlerweile ein Feiertag. Im Übrigen ist er das in einigen Ländern dieser Erde auch. Aber wenn ich mir die Liste dieser Länder anschaue (z.B. hier), dann finde ich es wichtig, das Bild geradezurücken. Was wird hier eigentlich gefeiert? Das, was schon alles erreicht wurde (#Ironie)? Das, was noch zu tun ist? Oder was genau? Es sind noch viele, viele Dinge umzusetzen. Ein langer Weg liegt da noch vor uns! Gleichstellung ist immer noch ein brisantes Thema. Fakt ist zum Beispiel: von 193 Mitgliedsstaaten der vereinten Nationen haben noch 50 die rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau 2018 in ihrer Verfassung abgelehnt. Das lass dir doch auf der Zunge zergehen: Die Gleichstellung abgelehnt! Welchen Grund sollte es dafür geben?
Bis heute hat die Frauenbewegung definitiv bereits viele Errungenschaften vorzuweisen, die meiner Meinung nach selbstverständlich sein sollten. Aber sollten wir Frauen nicht einfach zufrieden sein mit dem, was wir haben? Ungerechtigkeiten zwischen den Geschlechtern gibt es doch in allen Ländern. Da haben wir es doch schon ganz gut. Oder?
Beschäftigen wir uns in Deutschland schwerpunktmäßig “lediglich” mit der Beseitigung von Ungleichheiten wie unterschiedliche Lohnzahlungen, Karrieremöglichkeiten, Sprache, etc., so herrscht in anderen Ländern noch blanke Gewalt gegen Frauen, weil sie eben das sind, was sie sind: Frauen.
Alleine die jüngsten Vorkommnisse in Afghanistan und insbesondere im Iran zeigen uns, was das bedeutet. Es zeigt uns aber auch, dass es dort Frauen – und mittlerweile auch einige junge Männer – gibt, die im wahrsten Sinn des Wortes Todes-entschlossen für ihre Rechte als Frauen kämpfen.
Versteh mich bitte nicht falsch. Nur, weil wir in Deutschland nicht mit Verhältnissen wie in diesen beiden Ländern kämpfen müssen, ist bereits alles gut. Missverhältnisse und Ungleichheiten beeinflussen die Lebensqualitäten, primär von Frauen, massiv. Deswegen gibt es ja auch die sogenannten “Gaps” oder einfach Lücken zwischen den Geschlechtern, die beseitigt werden müssen.
Gaps – welche kennst du?
Wie viele dieser Gaps kennst du oder sind dir überhaupt bewusst? Okay, die Equal Pay Gap war ja gerade erst gestern. Damit wird die Lücke bzw. der Unterschied im Lohn zwischen Männern und Frauen bezeichnet. Der Equal Pay Gap oder Gender Pay Gap Tag soll auf diese ungleiche Bezahlung hinweisen. 2023 haben Frauen bis zum 07.03.2023 quasi umsonst gearbeitet (im Vergleich zum Jahreseinkommen von Männern). Bis zum gestrigen Tag sind 18 % des Jahres vergangen. Und das ist auch genau der Unterschied: Derzeit beträgt die Lücke zwischen dem Verdienst von Männern und Frauen in Deutschland laut Statista satte 18 %! Rechnet man das auf den Unterschied pro Monat aus, so verdienen Männer im Durchschnitt nahezu 1200 € pro Monat mehr. Schaust du dir die Riege der Topverdienr:innen an, dann klafft die Lücke zwischen Männern und Frauen immer weiter auseinander.
Wenn du das Thema weiter vertiefen möchtest, wirst du z.B. in der Allbright-Stiftung fündig. Dort gibt es unter anderem viele Berichte darüber, wo bzw. in welchen höheren Positionen Frauen vertreten bzw. nicht vertreten sind.
Auch interessant: Im EU-Vergleich bildet laut statistischem Bundesamt Deutschland sogar mit Estland, Lettland und Österreich (!!) das Schlusslicht in der Gender Pay Gap. Wenn ich dann noch lese, dass die Bundesregierung erst bis zum Jahr 2030 diese Lücke auf 10% senken will, dann finde ich das ganz schön, ja was eigentlich? Ungeheuerlich? Anmaßend? Desaströs? Ein Almosen an uns Frauen? Was für eine Wohltat, wenn ich sehe, dass in Luxemburg die Gender Pay Gap nur 1% beträgt. Oder dass Island als erstes Land versucht, diese Lücke vollständig zu schließen. Offensichtlich ist die Ungleichheit in der (Lohn-) Bezahlung von Männern und Frauen heutzutage international noch ein großes Problem.
Und ich spreche jetzt noch gar nicht von diversen anderen Gender Gaps, wie die Altersarmut (Gender Pension Gap), die bei ca. 49 % liegt. Allein die Tatsache, dass das Bundesarbeitsministerium vor kurzem veröffentlichte, dass jede dritte Frau mit einer Vollzeitstelle in Deutschland nach 40 Arbeitsjahren eine Rente von weniger als 1000 Euro netto erwartet (siehe auch hier), lässt die Aussage zu, dass Altersarmut weiblich ist.
Oder aber wenn wir überlegen, dass (kinderlose) Frauen im Laufe ihres Lebens im Durchschnitt etwas weniger als die Hälfte des Einkommens von Männern haben. Kommen Kinder dazu, dann wird es noch weniger. Die Bertelsmann Stiftung hat dazu interessante Untersuchungen angestellt.
Es gibt noch mehr solcher Gaps, so dass wir noch lange nicht von einer Gleichstellung reden können.
Ein Blick über den (nationalen) Tellerrand
In Deutschland haben wir Frauen zwar schon viel erreicht, trotzdem lohnt es sich, weiterhin für mehr Gerechtigkeit und Gleichstellung zu kämpfen. Immerhin dürfen wir Frauen zum Beispiel seit 1919 wählen und gewählt werden, wir dürfen unsere Berufe selbst aussuchen (das Gesetz dazu wurde 1977 geändert – erst!) und den Lohn auch behalten, wir können ein eigenes Bankkonto eröffnen (seit 1969 sind verheiratete Frauen geschäftsfähig), wir dürfen uneingeschränkt zur Schule gehen, studieren, selbst in die Lehre gehen. Seit 1997 wird endlich auch Vergewaltigung in der Ehe bestraft. Das ist doch schon einiges, oder? Und trotzdem hinkt die Gleichstellung deutlich hinterher.
Wenn ich aber international auf die Rechte der Frauen blicke, sehe ich, dass Frauen unter anderem in der Wahl ihrer Ehemänner, ihrer sexuellen Selbstbestimmung, in der Wahl ihrer Kleidung, in der Entscheidung, ob und was sie lernen wollen bzw. dürfen, ja, überhaupt in der Teilhabe und -nahme am öffentlichen Leben bzw. in ihrem Leben überhaupt stark eingeschränkt sind, dann müssen wir Frauen uns solidarisieren und Gleichstellung für alle Frauen in allen Länder einfordern. Was passiert denn derzeit mit Frauen in Afghanistan oder im Iran, um nur zwei Länder zu nennen. Wer tritt für ihre Rechte ein? Wer für ihr Leben, ihre Freiheit, ihre (Menschen-) Rechte? Wer bestimmt über sie, obwohl sie ein selbstbestimmtes Leben führen sollten? Warum werden Mädchen und Frauen als Menschen (?) nicht mal zweiter Klasse angesehen, über die nach Gutdünken verfügt und entschieden werden kann?
Manchmal sind die Schicksale dieser Frauen und Mädchen aber auch nicht weit weg von uns. Sie berühren uns, machen uns zum Teil sprachlos und lassen uns aber auf der anderen Seite aufschreien gegen die Ungerechtigkeit, die in diesem Jahrhundert überhaupt noch möglich ist.
Dann denke ich immer wieder, dass ein internationaler Weltfrauentag dringendst nötig ist, um auf Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern aufmerksam zu machen. Und zwar jedes Jahr auf neue. Und an den restlichen 364 Tagen im Jahr.
Fazit
Meiner Meinung nach wird es den Frauentag aus den obigen Gründen noch lange geben – müssen. Meine Hoffnung ist aber, dass wir ihn nicht mehr brauchen – irgendwann. Bis dahin sollten wir ihn nutzen.
Nachtrag
Gerade als ich diesen Artikel veröffentlichen wollte, habe ich den sehr empfehlenswerten Beitrag von meiner Bloggerkollegin Nicole Isermann gelesen. Sie zeigt sich in ihrem Artikel solidarisch mit den Frauen, Mädchen und Menschen in Iran. Frauen, Leben, Freiheit!
2 Kommentare
Manuela
Hallo Anette,
danke für deinen Artikel. Du hast recht, wir Frauen müssen aufpassen, dass der Weltfrauentag nicht zum Rosa-Schleifchen-Schau mit Blümchen verkommt. Wo er doch gemeinsamen Kampf um eine gerechte(re) Sache bedeutet. Ich war gestern zum Weltfrauenfrühstück hier vor Ort im Eine-Welt-Laden eingeladen (als Vertreterin unseres Internationalen Kulturvereins). Da hat mich allein die Uhrzeit geärgert (10 Uhr, wenn moderne Frauen arbeiten …).
Aber dann kamen wir ins Gespräch und ich konnte mich wieder einmal vernetzen. Wir sprachen v.a. über Frauen in Afghanistan und dem Iran und wie wir hier – vor Ort – geflüchtete Frauen schon seit Jahren möglichst flott integrieren (Deutschkurse, Freizeitgestaltung, Netzwerken …), denn: Integration & Bildung läuft auch hierzulande meist über die Frauen. Meine Erfahrung.
Ach ja, natürlich haben wir Frauen hier in Europa (v.a in Deutschland) es echt gut im Vergleich. Doch auch wir können noch für bessere Verhältnisse sorgen (Bezahlung. Flexible Arbeitszeitmodelle … ) – von denen hat dann auch der Rest (also der männlich Teil der Gesellschaft) etwas. UND – ganz wichtig – wir könnten als Vorbild für die Frauen in anderen Ländern dienen – und ihnen zu mehr Recht auf Selbstbestimmung helfen. Von Frau zu Frau!
Anette
Liebe Manuela,
Danke für deinen Beitrag. Ich finde Frauennetzwerke bombastisch, um auch seinen eigenen Blick zurechtzurücken oder zu ergänzen. Ich gebe dir recht, dass wir mit dem, was wir bisher erreicht haben, durchaus auch als Vorbild für die Frauen in anderen Ländern dienen können, bei denen noch so viel mehr im Argen liegt. Also Ärmel hochkrempeln und weiter machen!
Grüße Anette