Persönliches,  Stressmanagement

Wenn Politik persönlich wird

oder: Wie du in Krisen stabil bleibst

Die Bundestagswahl ist vorbei. Ich musste das Ergebnis erst mal sacken lassen. Jeder fünfte hat eine in Teilen rechtsextrem gesicherte Partei gewählt. Ich habe gehofft, das es anders laufen würde, aber leider ist das Ergebnis nun mal so, wie es ist.

Eine kurze persönliche Bestandsaufnahme

In mir bleibt derzeit neben den anderen internationalen politischen Geschehnissen ein flaues Gefühl in der Magengrube zurück und ich frage mich, wie es sein kann, dass so viele Menschen eine Partei wählen, die Spaltung propagiert, Ängste und Diskriminierung schüren und ein Klima des Hasses fördern. Wo bleibt die Menschenwürde, Offenheit, Vertrauen, Empathie, Diversität, Frauenrechte?

Als ich meinen Blog startete, hatte ich für mich beschlossen, keine politischen Statements abzugeben. Das habe ich mittlerweile sukzessive aufgeweicht. Mittlerweile geht es mir darum, Haltung dazu zu zeigen. Momentan merke ich jedoch, dass mich, politisch gesehen, vieles aufwühlt, ich aber gleichzeitig stabil bleiben will. So wie mir ergeht es um mich herum vielen Menschen. Sie (und ich) fragen sich, wo ihre eigene Selbstwirksamkeit angesichts der politischen Situation bleibt? 

Gefühle wie Wut, Enttäuschung, Ängste aber auch Verunsicherung machen sich breit. Zurück in den Alltag und business as usual geht für viele derzeit nicht. Vor allem nicht, wenn wir beachten, dass unsere alltäglichen Nachrichten zum großen Teil aus Koalitionsgesprächen, AfD, Krieg, Katastrophen, Klimawandel, Donald Trump, J. D. Vance und Elon  Musk bestehen.

Eine Studie aus Kanada hat gezeigt, dass eine Flut an solchen Nachrichten zu psychischen Stress führen kann. Dadurch ist unsere Resilienz, also unsere Superkraft, die uns durch Krisen führen kann, verstärkt gefordert. Aber was können wir letztendlich machen? Wegschauen? Uns einreden, dass uns das nicht unmittelbar betrifft? Der Ukraine Krieg findet schließlich nicht unmittelbar vor unserer Haustüre statt. Und was Trump in Amerika macht, merken wir auch nicht sofort. Politik in Deutschland? Es gab ja auch schon schwierige Zeiten, da kommen wir schon irgendwie durch. Die Energiekrise haben wir ja auch irgendwie umschifft. Dieselbe Studie zeigt auch, dass Wegschauen keine Option ist, damit wir uns dauerhaft besser fühlen. 

Was aber machen wir mit den Ängsten, die wir haben? Angst vor der Zukunft, der Klimakrise, dem Krieg? Da möchte ich erst mal eine Erklärung vorneweg schicken:

Sind Ängste nur schlecht?

Angst ist ein Gefühl, das jede:r von uns kennt. Wir können es nicht einfach eliminieren, denn es ist in uns fest verankert. Höhenangst zum Beispiel oder Angst vor Tiefe ist uns quasi mit in die Wiege gelegt und hat unser Überleben gesichert. Ängste sind zunächst per se nichts Schlechtes, denn sie bewahren uns vor konkreten Gefahrensituationen und helfen uns, z.B. durch die Bereitstellung von Adrenalin, dass wir eine erhöhte Aufmerksamkeit haben sowie schnell reagieren und handeln können. Wir können uns auf das Wesentliche fokussieren und im Bedarfsfall z.B. schnell wegrennen.

Bezieht sich Angst jedoch auf etwas Abstraktes wie z.B. eine Kriegsgefahr, Sicherheitsverlust, Zukunft, also auf etwas, das wir nicht greifen können, etwas, das uns unbekannt ist, dann besteht die Gefahr, dass wir in einen Dauerzustand rutschen. Die Gedanken drehen sich im Kreis, halten uns wach, beschäftigen uns permanent. Wegrennen? Machen wir schon lange nicht mehr. Gibt ja auch keine Säbelzahntiger mehr, vor denen wir Reißaus nehmen müssten. Dabei würde uns das Wegrennen tatsächlich helfen, Cortisol und Adrenalin abzubauen. So aber kreist ein Hormoncocktail dauerhaft in unserem Körper und kann nur schwer komplett abgebaut werden. Gesundheitliche, körperliche Auswirkungen sind die Folge. 

Die Salutogenese nach Antonovsky

Aber nun mal Butter bei die Fische: Was kannst du konkret dagegen tun, dass dich die Angst nicht überrollt und stattdessen deine Resilienz die Oberhand übernimmt? Ich halte es da mit der Salutogenese nach Aaron Antonovsky, der im Gegensatz zur Pathogenese die Entstehung von Gesundheit, und damit auch der psychischen Gesundheit, untersuchte. Bestimmend für ihn ist das Kohärenzgefühl. Darunter versteht er das Gefühl, dass es einen Zusammenhang und Sinn im Leben gibt, und dass das Leben nicht einem unbeeinflussbaren Schicksal unterworfen ist. Es ist quasi Empowerment für die jeweilige Person. Folgende drei Faktoren hat er als wichtig erachtet:

  1. Die Verstehbarkeit oder die Fähigkeit, die jeweilige Situation auf die Ursache zu analysieren und verstehen.
  2. Die Handhabbarkeit oder um die eigene Ressourcen wissen und anwenden.
  3. Die Sinnhaftigkeit oder Bewusstsein darüber, warum mir was wichtig ist.

Daraus ergeben sich in Krisensituationen folgende drei Fragen, die du dir stellen solltest: 

  • Was passiert gerade und wie kommt es dazu?
  • Welche Ressourcen stehen mir selbst zur Verfügung, um die Krise zu bewältigen?
  • Wie beeinflusst die aktuelle Situation gerade mein Leben und das mir wichtiger Menschen und Dinge?

Natürlich kannst du, um eigene Ängste zu relativieren, nun im Sinne der Salutogenese zunächst dir die Hintergründe z.B. dieser Wahl vor Augen führen. Warum ist die Wahl so ausgefallen, wie sie ausgefallen ist? Gibt es politische Strömungen, die sich in bestimmten Landstrichen festgesetzt haben und warum? Gibt es noch andere Zusammenhänge? Indem du dir Wissen verschaffst, schaffst du dir Klarheit und ein Verständnis für die Situation, deren Einordnung und Komplexität. Als nächstes kannst du dich fragen, welche Ressourcen besitzt du selbst, um mit der aktuellen Situation umzugehen? Wie kannst du für dich selbst sorgen? Wo hast du Kompetenzen, die du gewinnbringend einsetzen kannst? Bei deiner Familie, deinem Umfeld? Und schließlich: Worin liegt für dich der Sinn, in dem, was du tust? Welche Haltung willst du zeigen? Für was willst du eintreten, dich engagieren?

Okay, wirst du jetzt sagen. Viel theoretisches Blabla, das dir hilft, zu verstehen. Aber was kannst du nun konkret tun?

Konkrete Handlungsmöglichkeiten

Zwei große Worte stelle ich hiermit in den Raum: Selbstfürsorge und Empowerment. Du kennst doch sicher das viel beschworene Bild mit den Sauerstoffmasken im Flugzeug. Hier hast du die Anweisung, dir zuerst die Maske aufzusetzen und erst als zweite Handlung anderen Personen zu helfen, die nicht so schnell sind oder Unterstützung benötigen. Nur wenn du selbst gut versorgt bist, kannst du anderen helfen. Das gilt auch hier. Daher mein erster Appell, um dein Nervensystem zu regulieren: Mache etwas für dich.

Atmung und Bewegung

Das einfachste uns schnellste, was dem Hormoncocktail in deinem Körper hilft, sind Atemübungen und Bewegung. Mach dir, wenn es gerade passt, rhythmische Musik an, tanze dazu und singe. So hast du Bewegung, durch das Singen wird dein Körper mit Sauerstoff geflutet (schließlich brauchst du Luft zum Singen) und wenn die Musik noch gute Laune verbreitet – perfekt. Schüttel einmal alles durch, du wirst merken, dass es dir schon besser geht. Das ist quasi die Erste-Hilfe für dich. Wenn du das gerade nicht kannst, dann wippe, mach das Fenster auf und atme ein-, zweimal tief durch. Das bekommst du auch in einem (Büro-)alltag unter. Und gehe in deiner Pause raus.

Kontrollierter Nachrichtenkonsum

Ein zweiter Tipp: schränke deinen Nachrichtenkonsum ein. Das bedeutet nicht, dass du gar nichts mehr anschauen solltest, aber die Zeit, die wir vor irgendeinem Bildschirm verbringen und quasi im nebenbei Nachrichten mitnehmen, ist mittlerweile relativ viel und groß geworden. Hand auf´s Herz: wie ist das bei dir?

Meine Tipps: Setze dir feste Zeiten für einen “Nachrichtenboost” bzw. für die sozialen Medien. Achte dabei darauf, dass die Nachrichten aus einer seriösen Quelle kommen und lies nicht nur irgendwelche Schlagzeilen. Die Nachrichten sollten sachlich sein und nicht emotional boosten. Nimm nur so viel mit, dass du dich informiert fühlst. Wenn du selbst merkst, dass du zu viel scrollst, setze dir selbst Zeiten für die Handynutzung fest. Du kannst das einstellen. Ich habe zum Beispiel immer abends eine “Bitte nicht stören” Funktion. Dann kommen nur Nachrichten meiner engsten Familie durch.

Ablenkung

Manchmal ist Ablenkung ein weiterer Punkt um den Fokus weg vom angsmachenden Geschehen zu lenken. Da ist alles erlaubt, was dir guttut: ins Kino gehen, ein Buch lesen, mit dem Fahrrad fahren, laut Musik hören, dass die Nachbarn meckern, etc. Du weißt ja selbst, was dir guttut.

Weitere Möglichkeiten der Selbstfürsorge:

  • Achte auf Struktur und Routinen in deinem Leben. Jeden Tag aufstehen, Betten machen, Spazierengehen etc. hilft dir, dich nicht selbst in dem ganzen politischen Geshehen zu verlieren und selbstwirksam zu bleiben
  • Achte auf ausreichende Pausen und Erholung / Schlaf. Es ist niemanden gedient, wenn du psychisch so belastet bist, dass du nicht mehr handeln kannst (siehe Sauerstoffmasken).
  • Positives Denken: Damit meine ich nicht, gnadenlos alles nur noch positiv zu sehen, sondern eine gesunde Portion Optimismus und die Einstellung, dass Krisen nicht der Untergang der Welt sind, sondern grundsätzlich bewältigbar bleiben.
  • Akzeptanz von Veränderung: Die Welt dreht sich weiter, das Leben bringt Veränderungen mit sich. Wenn wir das akzeptieren und nicht starr an Altem festhalten, fällt es uns auch leichter, Lösungen zu finden und andere Perspektiven einzunehmen.
  • Pflege dein soziales Netzwerk. Damit meine ich nicht die sozialen Medien, sondern echte, reale Freundschaften, die dich unterstützen und Hilfe anbieten können. Unternehmt etwas gemeinsam, geht tanzen, ins Kino, lacht gemeinsam. Dadurch merkst du, dass ihr gemeinsam stark sein könnt und vieles bewegen könnt.
  • Last, but not least: Scheue dich nicht, dir Hilfe zu holen, wenn du nicht mehr weiter weisst. Ob das die Telefonseelsorge ist, ein Therapeut, Coach, eine Beratungsstelle, eine Selbsthilfegruppe. Es gibt vielfache Hilfsangebote. Du musst nur eines tun: sie nutzen!

Engagement

Nachdem du für dich gesorgt hast, lege weiterhin den Fokus auf das für dich Machbare. Was kannst du tun, um dein Gefühl von Hilflosigkeit und Unsicherheit zu bewältigen? Hier kommt das (politische) Engagement ins Spiel: Eine kanadische Studie hat ergeben, dass Menschen, die die politischen Nachrichten täglich verfolgten und dabei starke negative Emotionen hatten, sich zwar insgesamt im Alltag stärker psychisch belastet fühlten. Gleichzeitig waren das aber auch die Menschen, die eine große Motivation für politisches Engagement verspürten. Sei es in Form einer ehrenamtlichen Tätigkeit oder einer Spende an politische Kampagnen, Unterstützung von Petitionen oder eine Mitgliedschaft in lokalen Vereinen. Alles, was dir ein Gefühl vermittelt, aktiv zu sein, nicht alleine zu sein und dadurch etwas bewirken zu können, kann dir helfen. Wobei: achte auch hier sorgsam auf dich und deine Grenzen. Gemeinsam können große Dinge bewirkt werden. Das musst du nicht alleine tun.

Fazit zum „politischen Kater“

Nachdem du dich – und ich mich – gesammelt und die erste Schockstarre überwunden hast, überlege, was du als erstes für dich und als zweites für die Gemeinschaft tun kannst. Selbst falls du denkst, es nützt doch nichts, wenn du als einziger etwas tun willst. Denk daran: so wie dir ergeht es vielen im Moment. Und genau das ist jetzt der Augenblick, nicht aufzugeben. Du bist nicht alleine und wenn viele kleine Dinge tun, dann stehen sie zusammen und können Großes bewirken. Überall gibt es Menschen, die gerade jetzt (und davor schon) Haltung zeigen und für eine gerechte, friedvolle, nachhaltige und vertrauenswürdige Welt kämpfen wollen. Die nicht schweigen wollen, sondern anpacken. Das ist auch mein Beweggrund, heute diesen Artikel zu schreiben. Wir sind viele. Das ist unsere gemeinsame Welt und wir wollen sie besser und gerechter machen, auch wenn sich das Wahlergebnis gerade nicht danach anfühlt.

Das ist meine Hoffnung, die mich antreibt!

6 Kommentare

  • Sylvia Tornau

    Liebe Anette, danke für diesen Blogartikel zu dieser Zeit. Als Leipzigerin sitze ich in dem einzigen roten Fleckchen auf der ansonsten dunkelblauen Wahllandkarte der ostdeutschen Bundesländer. Obwohl erwartet, packte mich für einen Moment die Schockstarre, angesichts des Wahlergebnisses. Da kommt dein Beitrag gerade richtig und gibt mir neue Hoffnung. Denn Selbstfürsorge kann ich und Engagement auch. Nur mit der Analyse hapert es noch. Wobei, ich bin viel im Landkreis Leipzig unterwegs und spreche mit den Menschen, die die AFD gewählt haben und mit denen das Gespräch noch möglich ist. Zu viele lesen nur Überschriften, sind unzufrieden und wollen schnelle Antworten und Lösungen – um die sich aber gern andere kümmern sollen. Verantwortung wird abgegeben. Ich erkenne in vielen Aussagen Muster, die mir auch in der Arbeit mit traumatisierten Menschen begegnen. Doch bevor ich mich weiter damit beschäftige, lege ich erst einmal eine Pause ein und schüttel mir den Schock aus den Knochen. Herzliche Grüße Sylvia

    • Anette

      Liebe Sylvia,
      Ich schütteln mich auch immer noch. So einfach geht dieses Ergebnis nicht an mir vorbei. Einen Lichtblick habe ich: an unserer Schule wurden Juniorwahlen durchgeführt und da sah das Ergebnis ganz anders aus als erwartet: die Afd hatte kaum eine Chance, die CDU lag erst an Dritter Stelle. Es gibt doch noch Hoffnung und Reden sowie Demokratiebildung an Schulen hilft.
      Grüße aus Bonn Anette

    • Mangala Stefanie Klein

      Liebe Anette, danke für deinen guten Beitrag inmitten der Fassungslosigkeit.
      Egal was wir tun oder nicht tun, es ist immer politisch. Daher ist jetzt mehr denn je der Moment, das für Andere zun tun, was wir besonders gut können. Aufklärung allein ist es nicht, sondern aus meiner Sicht ist es notwendig, Menschen zu zeigen, wie sie ein zufriedenes, glückliches Leben führen können.
      Danke dir und alles Gute aus Münster von Mangala

  • Irina

    Vielen Dank für diesen Artikel, Anette, den ich gerade in TCS entdeckt habe.
    Es ist soo wichtig, den Kopf oben zu behalten und dank deines Artikels wird es nun einfacher gelingen, wieder positiv nach vorn zu blicken.

    Ich stelle immer wieder fest, wie wenige sich wirklich intensiv belesen und schlau machen und wie viel Uninfomiertheit „da draußen“ unterwegs ist. Der Wunsch nach einfachen Lösungen ist nachvollziehbar, aber leider unrealistisch.

    Zeigen wir gemeinsam Haltung und lassen wir uns nicht unterkriegen.
    Viele Grüße vom Niederrhein
    Irina

  • Gabi Kremeskötter

    Liebe Sylvia,
    danke für deinen Artikel und deine politische Stellungnahme. So wichtig in heutiger Zeit – ach, eigentlich immer!
    Ich danke dir für deine ausführliche Gedankenreise und finde ich mich in vielen deiner Punkte wieder.

    Und doch wende ich wohl intutitiv die für mich richtigen Methoden an, mit der wirklich schwer zu verstehenden deutschen als auch Weltlage umzugehen:
    Ich lenke mich ab, ich bin optimistisch (immerhin 80% haben NICHT rechts gewählt!), informiere mich in gut recherchierenden Medien (DIE ZEIT) und halte meine Medien- und Nachrichtenkonsum in Grenzen.

    Ich bin sicher, wir sind VIELE und werden auch weiterhin wichtiges bewegen.
    Viele Grüße zu dir
    Gabi

  • Sabine Landua

    Liebe Sylvia,

    mich überrollt es auch gerade und ich stehe vielem völlig fassungslos gegenüber. Mir fehlen wahrlich die Worte, daher bin ich sehr dankbar für deinen tollen Artikel, in dem ich mich wiederfinden kann.
    Ich für mich habe beschlossen, mich wieder mehr mit Menschen zu treffen und gemeinsam schöne Dinge zu erleben. Letzte Woche bin ich spontan zu einer Mitgliederversammlung eines Vereins gegangen und war überrascht, wie gut mir das getan hat. Ich habe wieder Lust, mich zu engagieren und so im Kleinen einen Beitrag zu leisten. Ich hoffe, damit mehr Menschen zu mitzuziehen und zu zeigen, was wir als Gemeinschaft erreichen können.

    Liebe Grüße
    Sabine

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