Titelbild "Das kleine Ich bin Ich"
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Eine Buchrezension: “Das kleine Ich bin Ich” von Mira Lobe

Update vom 12.11.2023

In meiner Bloggergemeinschaft “The Content Society” gab es im Herbst 23 jede Menge Blogparaden, die mich interessierten. Eine davon war die von Wiebke Schomaker / Starke Sprache. Sie rief in ihrer eigenen Blogparade dazu auf, über “Empfehlungen für Kinderbücher, die Kinder lieben und auch Erwachsenen Spaß machen”, zu schreiben. Mir fielen sofort einige ein, allerdings schaffte ich es nicht, einen komplett neuen Beitrag zu schreiben. So upcycelte ich meine Buchrezension über das “Kleine Ich bin Ich”. Nach wie vor ist es eines meiner liebsten Kinderbücher. Warum das so ist, habe ich im Artikel beschrieben:

Das kleine Ich bin Ich

Ich liebe Kinderbücher, wie auch “Das kleine Ich bin Ich” von Mira Lobe. Für mich bringen sie zum einen in einfacher Sprache kleine Weisheiten zutage, für die das erwachsene Auge oder Ohr schon zu erwachsen ist. Aber auch die Wahl der Bilder, deren Farben und Formen zeigen in unmissverständlicher (Bild-) Sprache, was Thema des Buches ist. Oft ist durch die Bilder eine Verständigung auch ohne Sprachkenntnisse möglich.

Meiner Meinung nach können wir als Erwachsene noch oder wieder einiges lernen, wenn wir uns nur auf bestimmte thematische Kinderbücher einlassen. Sie sind eben nicht nur für Kinder lehrreich, sondern auch für uns Erwachsene.

Eines meiner bevorzugten Bücher ist “Das kleine Ich bin Ich” von Mira Lobe. Es ist schon 50 Jahre alt, wird aber immer noch vertrieben und ist sogar als Erzähltheater, als sogenanntes Kamishibai, erhältlich. Es wird für Kinder zwischen 3 und 6 Jahren empfohlen, ich denke aber, es ist für jede:n, der / die denkt, er / sie wäre anders.

Ich habe es tatsächlich erst im Studium der Sozialarbeit / Sozialpädagogik kennengelernt und sofort geliebt. Im Rahmen von Bibliotherapie mit Jugendlichen habe ich das Buch immer wieder unter andere geschmuggelt. Es wurde jedes Mal gut angenommen und hat so manchen Identifikationsprozess bzw. ein Vorankommen in der Persönlichkeitsentwicklung angestoßen. Daher kommt meine heutige (Fach-) Buchempfehlung.

Ein paar Worte zu Mira Lobe

Mira Lobe hat zeit ihres Lebens an die 100 Kinder- und Jugendbücher geschrieben. Für viele von ihnen hat sie Preise erhalten. Ich muss gestehen, ich kenne nur dieses eine Buch von ihr, aber vielleicht ist es Zeit, einige der anderen Bücher auch noch kennenzulernen. Sie wurde 1913 in Görlitz in Schlesien geboren. Nach ihrem Abitur 1933 wollte sie studieren und Journalistin werden. Aber als Jüdin konnte sie das in Deutschland nicht. Sie flüchtete 1936 nach Palästina, heiratete dort und bekam zwei Kinder. Seit 1950 lebte sie in Wien, wo sie auch 1995 verstarb. 1972 bekam sie für “Das kleine Ich bin Ich” den Österreichischen Staatspreis für Kinder- und Jugendliteratur.

Inhalt von “Das kleine Ich bin Ich”

Ein kleines buntes Wesen spaziert auf einer Blumenwiese und scheint mit sich selbst im Reinen. Es freut sich an seiner Umgebung – bis ein Laubfrosch ihn fragt, wer es denn sei:

Damit ist das kleine Wesen den eigenen Selbstzweifeln ausgesetzt. Es macht sich auf die Suche, ob ihm irgendjemand sagen könnte, wer es sei. Dabei trifft es auf verschiedene Tiere, die auf seine Frage mit Zurückweisung und Unfreundlichkeit reagieren, andererseits aber auch Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft zeigen. Es entdeckt viele Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten. Im Ausschlussverfahren versucht es herauszubekommen, wer es ist: Es ist kein Pferd, kein Hund, kein Nilpferd, kein Fisch. Aber was dann? Das kleine Wesen merkt, dass ihm niemand eine Antwort geben kann. Es fühlt sich verloren und fragt sich, was an ihm verkehrt ist. Es ist so anders als die anderen Tiere. Aber dann merkt es, dass es sich nur selbst die Antwort auf die Frage geben kann, wer es ist. Es ist das “Ich-bin-Ich”, mit all seinen Fähigkeiten – es kann fliegen, schwimmen, auf dem Mond schlafen – und seiner Einzigartigkeit. Es gibt das Wesen nur einmal, und zwar genauso, wie es ist. Und das ist gut. Auch die anderen Tiere freuen sich, dass das kleine Wesen nun weiß, wer es ist und akzeptieren es.

Abschließend stellt erneut der Laubfrosch fest: “Du bist Du! Und wer das nicht weiß, ist dumm!” Bumm.

Sprache im Buch “Das kleine Ich-bin-Ich”

Das Erstaunliche an dem Buch ist: Der ganze Text ist in Reimen verfasst. Trotzdem, oder gerade deswegen wirkt es insgesamt fast schon wie eine leicht beschwingte Melodie. Auch wenn der Inhalt teilweise etwas traurig ist. Die Formulierungen sind eher liebevoll, z.B. wenn das Nilpferd von den eigenen wunderschönen Stampferbeinen spricht. Mira Lobe verwendet verschiedene Stilmittel, wie Wortspiele / Lautmalereien wie Plitscher-Plätscher-Wasser sowie Paar- und Binnenreime, aber auch Alliterationen (“… fächeln freundlich mit den Flossen”). Die Sätze erscheinen dadurch kurz, aber verständlich und auflockernd. Der Spannungsbogen ist so aufgebaut, dass ich als Leserin wissen will, wie das Buch endet, welche Art von Wesen vor uns durch die Geschichte wandert. Ich kenne schließlich auch kein einziges derartiges Wesen.

Letztendlich erfolgt die Auflösung am Ende ziemlich eindeutig: Es ist ein “Ich bin Ich“. Die anderen Tiere drehen das sprachlich um und sagen schließlich “Du bist Du”.

Das Buch wurde zwar in der Sprache der 70er Jahre verfasst, ist aber meist gut verständlich. Einige Begriffe wie “Kahn” sind vielleicht heute nicht mehr so eingängig.

Bilder

Die Illustrationen stammen von Susi Weigel, die im Übrigen auch die Idee zum Buch hatte.

Die Bilder sind sowohl bunt als auch schwarz-weiß. Sie wechseln sich im ganzen Buch immer wieder ab, wobei die bunten Bilder nicht ausschließlich für Fröhlichkeit stehen. Oder umgedreht die schwarz-weißen Bilder nicht für Traurigkeit, wie man es zunächst vermuten könnte. So ist das Bild mit der Erkenntnis, wer das kleine Wesen eigentlich ist, schwarz-weiß und nicht bunt.

Die Bilder sind nicht auf einen begrenzten Raum angelegt, sondern gehen über beide Seiten. Dadurch wirkt das Buch lebendig und ansprechend.

Auffällig ist noch, dass das kleine Wesen während der Suche nach seinem Ich größtenteils sehr klein gemalt wurde. Außerdem wirkt es in seiner Gestaltung fast grafisch, eben anders als die anderen Tiere. Dadurch wird die Andersartigkeit nochmals deutlich unterstrichen. Jedes Bild ist unterschiedlich illustriert, manchmal eher so, als ob Kinder mit Wasserfarben die Bilder erstellt haben. So wird Identifikation ermöglicht.

Auf der Innenseite am Anfang und am Ende ist jeweils die Anleitung zu finden, wie das kleine “Ich-bin-Ich” selbst gebastelt werden kann. Wie viele solcher kleiner Wesen sind wohl in den 50 Jahren schon entstanden?

Bedeutung des kleinen “Ich bin Ichs” und Fazit

Wie bereits erwähnt geht es um Persönlichkeitsentwicklung und Selbstwirksamkeit. Als Klassiker unter den Kinderbüchern vermittelt die Autorin so wichtige Themen wie Identität, Selbstbewusstsein, Andersartigkeit, Persönlichkeit, sowie Selbstwirksamkeit. Damit geht für mich dieses Buch über ein bloßes Vorlese- oder Bilderbuch hinaus. Es vermittelt ganz eindeutig, dass es nicht von Bedeutung ist, wie man aussieht, was man ist, es wird nicht einmal nach dem Geschlecht gefragt. Vielmehr vermittelt es, dass jedes Lebewesen einzigartig und so wie es ist, richtig und liebenswert ist.

Damit lernen Kinder – kleine wie auch große – einiges über die Welt und die Menschen. Das Buch gibt – neben den anderen positiven Effekten von Bilderbüchern wie Anregung der Fantasie, Förderung der kognitiven, sprachlichen und emotionalen Entwicklung – jede Menge Gesprächsanlässe, denen wir uns als Erwachsene stellen sollten, bzw. die wir für uns selbst auch beantworten sollten. Da sind zum Beispiel die angesprochenen Themen wie Individualität, Anderssein, Selbstvertrauen, Resilienz. Letzteres, weil das kleine Wesen eine Krise durchlebt. Es muss sich selbst finden und lernt, durch das unterschiedliche Verhalten der anderen Tiere stärker zu werden und nichts auf die Meinung der anderen zu geben. Es aktiviert seine eigene Problemlösefähigkeit, sein eigenes Bemühen, die Krise zu bewältigen und geht gestärkt und voller Selbstbewusstsein daraus hervor.

Somit ist das Buch von Mira Lobe und Susi Weigel bereits vor 50 Jahren wie auch heute ein äußerst fortschrittliches und aktuelles Buch.

Daher kommt auch meine persönliche Aufforderung, mit offenen Augen durch die Welt zu gehen und die Botschaft des Buches nach außen zu tragen. Gerade in unserer Welt, in der Xenophobie, in welche Richtung sie auch gehen mag, wieder überhandnimmt.

Dazu fällt mir nur ein, die allerletzte Aussage des Laubfrosches zu zitieren: “Du bist du! Und wer das nicht weiß, ist dumm! Bumm.”

3 Kommentare

  • Silke

    Anette, du liebst dieses Buch so nachvollziehbar, dass es mir die Tränen in die Augen treibt! Ich bin sicher, Mira Lobe lächelt im Himmel vor Freude, die ihr Buch schon so lange und immer wieder bereitet. Meine Tochter hat auch irgendwann ein kleines Ich gemacht,. Deine Rezension ist einfach nur schön! Danke dafür.

    Liebe Grüße, Silke

  • Wiebke Schomaker

    Liebe Anette,

    vielen Dank für deine Buchbesprechung zu diesem ganz besonderen Buch! Damit hast du mir das Buch von Mira Lobe ganz neu in Erinnerung gebracht, das ich auch noch aus Kindheitstagen kenne. Ich kann sehr gut verstehen, warum dir dieses Buch so viel bedeutet.

    Ich danke dir, dass du mit diesem Artikel bei meiner Blogparade mitgemacht hast!

    Ganz herzliche Grüße
    Wiebke

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