Persönliches

Was ich auf Reisen (über mich) gelernt habe

Hach, Reisen…. Wenn ich von einer Reise nach Hause komme, dann ist es für eine gewisse Zeit schön, wieder anzukommen. Nach kurzer Zeit aber scharre ich schon wieder mit den Hufen. Wäre da nicht meine Arbeit….

Julia Pracht hat mich mit dem Aufruf zu ihrer Blogparade “Was ich auf Reisen (über mich) gelernt habe” animiert, kurz innezuhalten und das Thema aufzugreifen.

Wie komme ich zum Reisen?

einmal Burg besichtigen

Als Kind waren wir selten weiter weg. Ich kann mich an zweimal Österreich, einmal Schwarzwald erinnern, ansonsten haben wir relativ viele kleinere Ausflüge in die nähere Umgebung gemacht. Während meine Freundinnen mir Postkarten von Italien schickten, saß ich zu Hause im Freibad, stromerte im Wald herum, besuchte diverse Kirchen, Burgen und Schlösser, zeltete mal hier, übernachtete mal dort und fand das alles sehr schön.

Erste Fahrten ohne Eltern

Das, was mir immer wieder von Italien erzählt wurde, schien mir tatsächlich nicht sonderlich erstrebenswert: Heiß, Sand zwischen den Zehen und überall sonst, jede Menge Menschen, häufig auch aus dem Nachbardorf, die sich in Italien trafen, und alle liegen eng nebeneinander auf ihren Liegestühlen. Das konnte ich im Freibad oder Baggersee um die Ecke genauso haben. Als Jugendliche war ich häufiger mit meiner Clique unterwegs, um eine alte Mühle zum Jugendtreff umzubauen. Diese Zeiten waren verbunden mit Freiheit, Selbstorganisation, Lagerfeuer, lange Abende, tiefe Freundschaften. Meine erste Reise ins europäische Ausland ohne Eltern war – natürlich mit meiner Clique – zum Taizé-Treffen nach Rom, die zweite ein Jahr darauf zum Taizé-Treffen nach Paris. Jedes Mal fuhren wir mit dem Bus. Ich genoss es, beide Male die Städte mit Freunden zu erkunden, die Sprachen in mich aufzunehmen, das Lebensgefühl und das doch andere Klima zu erfahren.

Austauschprogramme

Während meiner Schulzeit gab es über Austauschprogramme die Möglichkeit, im geschützten Rahmen ins Ausland zu kommen. Ich heulte innerlich vor mich hin, als ich nicht mit zum Frankreich-Austausch fahren konnte und als fast einzige in eine andere Klasse zum Unterricht gehen musste. Wie sehr freute ich mich auf den Austausch mit dem Leistungskurs Englisch, mit dem ich mit 18 Jahren nach London fahren durfte.

Brieffreundschaften

Brieffreundschaften

Eine ersteAuseinandersetzung mit “fremden Länder”, die ich kennenlernen wollte, hatte ich eigentlich schon weit davor. Bereits mit ca. 12 / 13 Jahren startete ich über eine Organisation Brieffreundschaften in alle möglichen Ländern. Und wenn ich alle möglichen Länder sage, dann meine ich das auch so: Südkorea, Finnland, Südafrika, Vietnam, England, Irland, Österreich, Indien, …. Geblieben sind mir bis heute tatsächlich letztere zwei. Mein Ziel war es, diese beiden auch mal persönlich kennenzulernen. Mit der Brieffreundin aus Österreich hat das geklappt, mit Indien leider bisher noch nicht.

Meine “ersten Male”

Nach dem Abitur wollte ich unbedingt die große weite Welt erkunden, bevor der “Ernst des Lebens” losgehen sollte. Mit meinem damaligen Freund (und heutigem Göttergatten) fuhr ich mit seinem Auto über das damalige Jugoslawien nach Griechenland. Wir hatten jede Menge an verhaltensregeln im Gepäck, wo wir tanken sollten, wo wir übernachten sollten, dass wir nicht von der üblichen Autoroute in Jugoslawie abweichen durften etc. In Griechenland besuchten wir schließlich eine bekannte Familie in der Nähe von Edessa, einen Freund in der Nähe von Thessaloniki und verbrachten eine wunderschöne Zeit mit dem Zelt auf der Chalkidiki. Wenn es damals schon Smartphones gegeben hätte, dann hätte es viele Schnappschüsse meiner “ersten Male” gegeben: das erste Mal im Meer und Salzwasser schmecken, heißen Sand unter den Füßen haben, mich der Lebensweise der Griechen (vor allem, was Mittagsschlaf anbelangte) anpassen, Obst dort essen, wo es geerntet wird (Pfirsiche und Weintrauben vor allem) etc.

Italien

Toskana

Und dann hatte ich Feuer gefangen und wollte mehr davon. Da wir beide studierten, hatten wir nur begrenzte finanzielle Mittel und mussten vorarbeiten und sparen. Aber sobald Semesterferien waren, ging es auch los: von München, unserem Studienort, war es ja nicht sooo weit nach Italien. So fuhren wir mit unserem uralt Auto immer wieder mal nach Südtirol, in die Toskana, nach Umbrien, zum Gargano, nach Süditalien um festzustellen, dass nicht ganz Italien aus Meer und Strand besteht, sondern auch Skigebiete vorhanden waren (und wir mit unserer Vorstellung mit Sommerklamotten, Zelt und Sommerschlafsäcken im April mitten in den Bergen und Schnee) und uns die Lebensweise, das Land und überhaupt alles sooo gut gefiel. Das tut es im Übrigen heute noch.

Türkei

Als Nächstes war nach einem Griechenlandurlaub die Türkei dran. Wir waren regelrecht geflasht von der Freundlichkeit, mit der wir häufig aufgenommen wurden. Nach unserem ersten Aufenthalt mit unserem Zelt am Strand in der Nähe von Bauarbeitern hatten wir etliche Kontakte und Freundschaften geknüpft, die zum Teil bis heute mal mehr, mal weniger intensiv halten. Das Land hat uns mit seinen vielen Facetten so fasziniert, dass wir es ebenfalls mehrmals bereist haben, fast ausschließlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln (einmal von München aus mit dem sogenannten “Gastarbeiterbus” bis Antalya), hautnah im Kontakt mit der Bevölkerung. Wir haben Türkisch gelernt, unsere Frühstücksgewohnheiten überdacht und ganz viele Eindrücke mit nach Hause genommen.

Indonesien

Aber es gab ja noch Länder, die weiter weg waren. Auf Empfehlung einerstudentischen Flugreisevermittlung kamen wir zum ersten Mal nach Indonesien (statt nach Indien). Nach der überschwänglichen und tiefen Freundschaft der türkischen Menschen konnten wir die asiatische Freundlichkeit und Distanz überhaupt nicht einschätzen. So wurde Indonesien eine Liebe auf den zweiten Blick. Dann aber so richtig heftig. Insgesamt waren wir mindestens sechsmal in Indonesien, weil wir jede Insel anders und unterschiedlich interessant fanden. Auch hier immer mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs, mit pickenden Hühnern unter unserem Sitz, den typischen Nelkenduft in der Nase, mit Dengue-Fieber im Gepäck und tief gehenden Erlebnissen.

Hatten wir bei unserer ersten Rucksackreise noch über 20 kg auf dem Rücken, so wurde es mit jeder Reise immer weniger. Heute kommen wir mit 7 – 10 Kg klar.

Meine Art zu reisen

Im Laufe der Jahre folgten noch viel mehr Länder. Eines war uns aber immer klar: Nur, wenn wir kurze Zeit Urlaub haben oder einen Städtetrip machen, dann kommt ein Tourihotel infrage. Dann wollen wir uns nicht mehr allzu viel um Essen oder Zimmersuche kümmern, sondern tatsächlich am Strand entspannen. Ansonsten stehen wir nach wie vor auf Rucksackreisen oder seit 4 Jahren auf Reisen in Europa mit dem Wohnwagen. Für die Zeit mit Corona, in die auch mein Sabbatjahr fiel, ein echter Segen. So konnten wir immerhin ein Vierteljahr mit dem Wohnwagen unterwegs sein und meist autark stehen, je nach Jahreszeit und welches Land sich wieder öffnete. Da ich mittlerweile aufgrund eines Lipödems und einer KniegelenksOP nicht mehr so gut laufen kann, ist der Wohnwagen für mich super.

Meine Learnings aus den Reisen:

  • Mich hat nach der ersten Rucksackreise überrascht, dass ich das so gut geschafft habe und mir diese Art von Reisen so viel Spaß macht.
  • Reisen kann auch anstrengend sein: gerade mit dem Rucksack fand ich es manchmal nervig, abends noch eine Unterkunft zu suchen, etwas zum Essen zu organisieren, mich trotz Müdigkeit noch mit anderen Menschen auseinandersetzen zu müssen
  • Mich hat auch überrascht, wie wenig ich im Urlaub brauche: wenig Klamotten, kein fernsehen, keine geregelten Essenszeiten, kein warmes Essen, nur ein paar früchte, etc.
  • Mit dem Wohnwagen überdenke ich unseren Wasserverbrauch noch einmal anders. Gerade, weil wir fast immer autark stehen, müssen wir rechtzeitig frisches Wasser organisieren. Wieviel Wasser benötige ich zum Duschen, abspülen, Toilette, was tatsächlich zum Kochen und Trinken? Mein Blick darauf ist deutlich anders geworden.
  • Wir sind überall Ausländer und fühlen uns auch so. Häufig haben wir mit der Sprache, den klimatischen Bedingungen, der anderen Mentalität, der Natur etc. zu kämpfen, bis wir uns eingegroovt haben. Mein Ziel ist es, in jedem Land soviel Sprache zu lernen, dass ich mich über einen Smalltalk hinaus unterhalten kann und auf alle Fälle auf dem markt handeln kann. Wobei: Zu finnisch und ungarisch bekam ich überhaupt keinen Bezug, da habe ich mich dann doch lieber auf Englisch zurückgezogen.
  • Jede Reise in ein anderes Land, egal wie nah oder fern, ist immer auch eine Reise zu mir selbst. Ich nehme mir Zeit, ich denke ganz viel nach, ich hinterfrage Gewohnheiten, passe mich dem Land an, sehe die Lebensbedingungen und komme mit neuen Ideen und Veränderungen in meiner Person zurück.
  • Mit jeder Reise stelle ich fest, dass in mir immer noch Vorurteile (aus meiner Kindheit) schlummern wie: in Skandinavien regnet es die ganze Zeit und ist kalt, ganz Italien besteht aus Sand und Meer, andere Länder sind uns technisch haushoch unterlegen, sind nicht modern, in Italien gibt es viele Streiks und die Bahn fährt unregelmäßig, etc. Gut, dass ich die relativ schnell abbauen kann.
  • Ich habe gelernt, flexibel zu sein, während ich reise, und die Organisation, was ich wann und wo anschauen möchte, über Bord zu schmeißen. Meine FOMO, alles abgrasen und gesehen haben zu müssen ist einer gewissen Lässigkeit gewichen. Beispiel: Ich war bestimmt schon viermal in Rom. Jedes mal wollte ich unbedingt ins Pantheon und in die sixtinische Kapelle. Jedes Mal war sie geschlossen wegen Renovierung und ich war immer total down, weil es schon wieder nicht geklappt hat. Bei meinem letzten Rombesuch hatte dann auf einmal beides geöffnet. Ich hatte gar nicht damit gerechnet. So gehe ich auch mittlerweile an die Dinge heran: Hat geschlossen? Okay, ein Grund, wieder zu kommen. Dafür gehe ich halt etwas länger an den Strand, in die Bibliothek, whatever.
  • Ich bin offener geworden. Ich traue mich, andere Menschen anzusprechen, mit ihnen in Kontakt zu kommen, über ihre Lebensweise etwas zu erfahren. Dadurch haben wir etliche Freundschaften mit den unterschiedlichsten Menschen in den verschiedensten Ländern geknüpft, die wir immer gut pflegen.
  • Ich komme mit deutlich mehr Ruhe und Gelassenheit zurück. Mich fasziniert es immer wieder, wenn ich sehe, wie Menschen in anderen Ländern an vermeintliche Probleme herangehen und mit welcher Gelassenheit sie diese lösen.
  • Mein größter Luxus ist es, Zeit zu haben. Viel mehr braucht es nicht für unterschiedlich intensive Erlebnisse.
  • Nicht jedes Land ist für mich ein Reiseland. Wenn Gesetze oder Politik nicht zu meinen Werten passen, dann bereise ich das Land nicht. Das mir das so wichtig ist, war mir vorher nicht klar.
  • Es gibt ganz, ganz viele kleine und wunderbare Momente. Und jedem dieser Momente wohnt ein Zauber inne. Sei es das Lagerfeuer, die Polarlichter, die wir überraschenderweise sehen konnten, das Rentier, das bei uns vorbeischaut, ein Faultier, das ich in seiner natürlichen Umgebung beobachten kann, eine kleine Zeremonie auf Bali, oder aber die Tatsache, dass wir während meines Sabbatjahres in der Coronazeit viele Orte fast ohne Touristen sehen konnten (Petra in Jordanien, Plitvicer Seen, Malediven, Mallorca, um nur einige zu nennen).
  • Mich erfüllen manche Erlebnisse mit Demut: Die große Felsenstadt Petra in Jordanien, die aus dem Felsen herausgehauen und nicht etwa hineingebaut wurde, der riesige Gletscher in Norwegen, die Weite der Llanos in Venezuela, Tefelberge, Tiere (besonders in Costa Rica), und noch vieles mehr. ich fühle mich häufig sehr klein, v.a. wenn ich so Naturgewalten gegenüberstehe und bin froh, dass ich so vieles erleben durfte, bevor die große Touristenwelle darüber geht. Bali vor 30 Jahren unterscheidet sich sehr deutlich von dem heutigen Bali (um nicht zu sagen, es sind zwei unterschiedliche Welten).
  • Mich erfüllen meine Reisen mit sehr viel Dankbarkeit: danbar, dass ich sie überhaupt noch machen kann, dass sie mich aus meiner Komfortzone holen, dass sie mir Grenzen aufzeigen, aber auch Horizonte öffnen, dass ich Kulturen erleben darf, mich mit anderen austauschen kann, neugierig bleiben kann, dass meine Abenteuerlust bestehen bleibt und ich auch mit kleinem Budget reisen kann, dass ich mein Leben so viel mehr schätzen kann, dass mir Menschen mit viel innerer Freude trotz oder gerade wegen Armut begegnet sind, dass ich Perspektivwechsel vornehmen konnte und manches anders sehe, als vor den Reisen, dass das Tochterkind mit den Reisevirus infiziert ist und uns auch immer wieder noch begleitet, dass ich mit meiner Familie die Erlebnisse teilen darf, egal, ob sie gut oder schlecht sind, dass ich den Umgang mit unserer Natur, unserem Land, das uns geschenkt wurde, unseren Lebensstilen überdenke und meine Überzeugung vertrete.

Fazit

Es heißt, reisen bildet. Ja, das kann ich unterstreichen. Ich weiß jetzt viel mehr über Lage, Klima, Politik, Natur, Kultur etc einiger Länder, als ich das in Erdkunde zu meiner Schulzeit gelernt habe. Aber es bildet mich natürlich nicht nur in den Zahlen und Fakten, sondern es bildet und verändert mich, meine Persönlichkeit, meine Einstellung. Reisen ist wichtig, um sich selbst kennenzulernen, um Toleranz auszubauen, Voruteile abzubauen, Offenheit herauszukristallisieren.

Es wäre blauäugig zu sagen, dass immer alles toll und schön war. Wir haben auch dunkle Seiten gesehen, die uns aber geholfen haben, die Begebenheiten anders einzuordnen.

Jede meiner Reisen hatte etwas Besonderes: eine Farbe wie z.B. das türkisblaue Meer auf den Lofoten, einen Geruch wie die Nelkenzigaretten in Indonesien, einen Geschmack wie die Currys auf Sri Lanka, ein Gefühl wie die tiefen Freundschaften in der Türkei oder die Sonnenstrahlen auf meiner Haut in unterschiedlichen Ländern, ein Geräusch, wie die Wellen im Meer. Und das ist mein größtes Learning aus all meinen Reisen!

Glücklich und zufrieden im letzten Urlaub in Finnland

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