Persönliches

Von Fußball, Regenbogen, Rassismus und ganz vielen Fragen

Schon nach dem EM-Spiel Deutschland gegen Ungarn kribbelte mir es in allen Fingern, darüber zu schreiben, hatte aber leider keine Zeit. Gestern las ich fassungslos die Nachrichten, wie sich englische Fans aufregten, sich ihren Mitbürgern gegenüber verhielten und welchen rassistischen Äußerungen drei der Elfmeterschützen ausgesetzt waren. Also muss heute die Renovierung kurz pausieren, damit ich das noch los bekomme. Sonst platze ich.

Was war aber passiert?

Aufreger 1: Regenbogenfarben beim Fußball?

Bild: Sasel13 auf Pixabay

Der deutsche Torwart Manuel Neuer sorgte während der Gruppenphase für Aufregung: Er trug eine vom von der UEFA nicht genehmigte Kapitänsbinde in Regenbogenfarben. Ermittlungen gegen ihn wurden begonnen, um sie direkt auch wieder einzustellen. Anfänglich war die UEFA tatsächlich der Auffassung, die Kapitänsbinde würde gegen das Regelwerk verstoßen. Nach einigem Hin und Her wurde sie aber schließlich doch als  Zeichen der Mannschaft für Vielfalt und damit als “good cause” bewertet. Und durfte weiter getragen werden.

Danach verbot die UEFA die Illumination der Allianz Arena in München zum EM-Spiel Deutschland gegen Ungarn in Regenbogenfarben. Der Antrag des Münchner Oberbürgermeister mit dem Gedanken und dem Bekenntnis zu Vielfalt, Toleranz und echter Gleichstellung im Sport und in der ganzen Gesellschaft, wurde negativ entschieden. Begründung: Mit der Beleuchtung wollte München ein Zeichen gegen die Politik Ungarns setzen (kleiner Einschub: ein neues ungarisches Gesetz von Mitte Juni beschränkt bzw. verbietet unter anderem die Informationsrechte von Jugendlichen bezüglich Homosexualität und Transsexualität). Die UEFA wollte aber die Spiele politisch neutral halten.

Ein Aufschrei ging durch die sozialen Medien. Sie wurden zum Ort von Bekenntnissen: kein Post ohne Regenbogenfarben. Und zwar nicht nur von jedermann und jederfrau, sondern von großen Unternehmen, Politikern (außer der AFD), Polizei, Feuerwehr, sogar der bayerische Ministerpräsident Söder trug zum Spiel einen regenbogenfarbenen Mundschutz. Und bekannte auf Twitter: “klares  Bekenntnis gegen Ausgrenzung und für Freiheit und Toleranz”. 

Fragen über Fragen

Folgende Fragen drängten sich mir auf:

  • Wenn die UEFA mit ihrem Statement keine Kritik oder ein politisches Statement äußern will, ist das dann nicht ebenso parteiisch?
  • Sind wir in Deutschland tatsächlich schon so tolerant, dass wir anderen Staaten zeigen können, wie es funktioniert? Wie ist es denn um die LGBTQ-Community in Deutschland bestellt? Muss nicht zum Beispiel in einer gleichgeschlechtlichen Ehe eine zweite Mutter das Kind ihrer Ehefrau adoptieren? Bei einem Ehemann in einer heterosexuellen Ehe wird dieser jedoch automatisch als Vater anerkannt. Wo bleibt da die Gleichstellung?
  • Wie steht es um den Austragungsort der Fußball Weltmeisterschaft in Katar? Homosexualität ist dort strafbar und kann mit einer Strafe von bis zu 3 Jahren geahndet werden. Laut Scharia sogar mit der Todesstrafe. Ist so ein Austragungsort nicht mehr als fragwürdig?
  • Und wie ist das mit der Werbung und den Regenbogenfarben? Beispielsweise Volkswagen schmückt seine Werbung gerne mit den Regenbogenfarben. Ist ja auch einfach und umsonst. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt! Sind sie aber nicht auch offizieller Mobilitätspartner bei der WM in Katar?

Ich gestehe, ich habe keine zufriedenstellenden Antworten auf meine Fragen erhalten. Fakt ist, dass die LGBTQ-Community weltweit bedroht, verfolgt und diskriminiert wird. Ein Bekenntnis zu ihrer Sexualität kann für sie dramatische Konsequenzen haben. Da erscheint es in meinen Augen nicht geboten, dass sich Politiker oder Unternehmen, die sich sonst um Menschenrechte weniger scheren, mit Regenbogenfarben schmücken. Mir zeigt es aber vor allem, dass Solidarität erst dann etwas wert ist, wenn auch Taten folgen

Homophobie im Fußball ist nicht neu – leider. Ebenso wenig wie Rassismus. Und damit komme ich zu Aufreger Nummer 2.

Aufreger 2: Rassismus nach Elfmeterschießen

Beim Finalspiel England gegen Italien wurden unter anderem drei junge und hervorragende Spieler der englischen Mannschaft für das Elfmeterschießen ausgewählt. Sie hatten im Spiel gezeigt, was sie konnten und hatten sicher auch ihren Anteil zum Erfolg der Mannschaft beigetragen.

Bild aus Instagram, @matthazig

Wie sehr habe ich mit dem Spieler Saka mitgelitten, der als 19-jähriger den letzten Elfmeter ausführen musste. Alleine die Spannung, in der er steckte, war zu spüren. Egal, ob ich nun für England oder Italien war, ich hätte es ihm so sehr gewünscht, dass er trifft. Und wie groß die Enttäuschung war, nach dem sein Elfmeter gehalten wurde, einfach unbeschreiblich.

Umso fassungsloser war ich, als ich einen Tag danach las, welch hässliches Gesicht enttäuschte englische Fans “ihren” Spielern mit dunkler Hautfarbe gegenüber zeigten. Plötzlich wurden sie lediglich auf ihre Hautfarbe reduziert, die England den EM-Sieg gekostet hätten, egal was sie vorher geleistet hatten. Voller Entsetzen las ich von Aufrufen zur Gewalt gegen dunkelhäutige Mitmenschen, ich las, dass davor gewarnt wurde, auf die Straße zu gehen, wenn man eine andere Hautfarbe hatte und ich las davon, welche unsägliche Beleidigungen sich die drei jungen Spieler anhören bzw. lesen mussten. In welcher Zeit lebe ich denn eigentlich?

Marcus Rashford, einer der drei betroffenen Spieler, äußerte sich nach dem EM-Finale folgendermaßen: “Ich kann mir Kritik an meiner Leistung den ganzen Tag anhören, mein Elfmeter war nicht gut genug, er hätte reingehen sollen, aber ich werde mich niemals dafür entschuldigen, wer ich bin und wo ich herkomme.” Wo leben wir, dass jemand so etwas schreiben muss?

Rassismus und Fußball – gehört das zusammen?

Und um das einmal klar zu stellen: Ich denke nicht, dass solche rassistischen Äußerungen alleine am Fußball liegen. Der Fußball ist meiner Meinung nach nur ein auslösendes Moment für eine grundsätzliche Haltung, die in der heutigen Zeit eigentlich gar nichts verloren hat. Sie geht einher mit der oben beschriebenen Homophobie, bzw. mit Menschenverachtung generell. Leider nimmt sie durch die Anonymität in den sozialen Medien schnell Fahrt auf. Warum brauchen Menschen andere Menschen, die sie klein machen können, indem sie sie herabsetzen, demütigen, beleidigen? Warum sind diese – in Ihrer Denkweise – weniger wert? Oder anders gesagt, warum stellen sie sich über die anderen?

Der Kampf des Sisyphos?

Ich bin manchmal müde, diesen Kampf immer und immer wieder aufzunehmen. In meiner bisherigen Tätigkeit als Sozialarbeiterin habe ich mich oft in die Diskussionen geschmissen und viele verschiedene Gesichter der Menschenverachtung gesehen:

  • wer bestimmt, was Frauen tun dürfen (oder nicht tun dürfen)?
  • warum kämpfen viele im Namen ihrer Religion einen unsäglichen Kampf?
  • wer sagt, dass Menschen mit anderer Hautfarbe weniger wert sind bzw. die weiße Hautfarbe mehr wert ist?
  • wer bestimmt überhaupt den Wert eines Menschen und muss der überhaupt bestimmt werden?
  • warum können wir uns nicht gegenseitig respektieren und tolerieren und damit in Frieden nebeneinander /miteinander leben?
  • warum können wir nicht  von unseren Mitmenschen profitieren, egal welchen Geschlechts, welchen Alters, welcher Hautfarbe, welcher sexuellen Orientierung, welcher Religion? Oder was auch immer?

Auch hier bekomme ich nicht immer zufriedenstellende Antworten bzw. bin immer noch auf der Suche. Und ich frage mich außerdem: Lohnt es sich überhaupt, dagegen zu kämpfen, wenn doch immer wieder neue Generationen nachkommen, die so tun bzw. sich so verhalten, als ob es keine Geschichte gäbe? Die nicht lernen (wollen oder können)? Was bin ich bereit zu tun?

Was kann jede:r Einzelne:r tun?

Kleiner Einschub: Ich bin in einer Familie aufgewachsen, die, wie viele, selbst mit Vorurteilen zu kämpfen hatte. Sei es, dass wir zu den damaligen Flüchtlingsfamilien gehörten, die nur Wohnraum wegnahmen. Oder dass im stockkatholischen Ort meine Eltern eine „Mischehe“ eingingen (zwischen katholischer und evangelischer Religion) und wir Kinder das immer wieder zu hören bekamen.

Aber ich wohnte auch in einem Ort, in dessen Nähe die amerikanische Armee stationiert war. So kamen wir schon frühzeitig mit Menschen anderer Hautfarbe in Berührung und konnten rassistische Bemerkungen nicht oder nur schwer nachvollziehen. Ebenso wenig wie Benachteiligung.

Das ist wohl auch einer meiner Hauptmotoren gewesen, warum ich Sozialarbeit / -pädagogik und später noch Jura studiert habe. Beim Zweitstudium musste ich allerdings schnell erkennen, dass Gerechtigkeit manchmal nur sehr schwer mit dem geltenden Recht erreicht werden kann.

Trotzdem bin ich der Auffassung, dass es sich lohnt, immer weiter zu kämpfen:

  • dass es sich lohnt, mit Jugendlichen zu diskutieren, die viel negatives Gedankengut aus ihren Familien übernehmen und damit auf Widersprüche in der Gesellschaft stoßen.
  • dass es sich lohnt, sich mit den eigenem Verhalten immer wieder auseinanderzusetzen
  • dass es sich lohnt, so zu leben, dass die Grenzen des Gegenübers respektiert werden und für seine Überzeugung und Werte einzustehen.
  • dass ich halt manchmal die Spaßbremse bin, wenn frauen-, rassen – bzw. menschenverachtende Witze gemacht werden.
  • Und vor allem, dass es mein Leben bereichert, wenn ich von anderen Menschen lernen und mit ihnen leben kann

Mein Appell: Übernimm Verantwortung für Dein eigenes Handeln, reflektiere es und rege Dich nicht nur im stillen Kämmerlein auf. Sonst wird sich nie etwas ändern. Nicht in den verschiedenen Generationen, nicht in der Gesellschaft, nicht bei uns Menschen.

Nicht groß reden, sondern handeln, und wenn es kleine Dinge sind. So handeln, dass Du und ich am Abend noch in den Spiegel schauen können. Glaub mir, es lohnt sich!

Für Dich, für mich, für uns alle!

Bild: Gerd Altmann auf Pixabay

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